1. Preis: Gemeinschaftspraxis Kirchberg im Wald
Berliner Gesundheitspreis 2004/2005
In einer Gemeinschaftspraxis in Kirchberg wird gelebt, wovon andere Ärzte noch träumen: evidenzbasierte Medizin, Qualitätsmanagement und integrierte Versorgung. Das zeigt: Fortschrittliche Behandlung ist überall möglich - selbst an einem abgelegenen Ort im Bayerischen Wald. Die Gemeinschaftspraxis Kirchberg wurde von der Jury des Berliner Gesundheitspreises mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Er ist mit 20.000 Euro dotiert.
Auch auf dem Lande nicht abseits
Abseits großer Verkehrswege und städtischer Ballungsräume liegt im Osten Bayerns die kleine Gemeinde Kirchberg im Wald. Das 4.300-Seelen-Dorf im Landkreis Regen liegt in der Ferienregion "Bayerischer Wald". Neben dem Tourismus ist die Landwirtschaft die wichtigste Erwerbsquelle für die Menschen, die hier leben. Das nächste Krankenhaus befindet sich im 20 Kilometer entfernten Zwiesel. Dort ist auch ein Notarztwagen stationiert.
In der näher gelegenen Kreisstadt Regen können Patienten nur von einigen niedergelassenen Fachärzten versorgt werden. Selbst hier ist vor jeder Behandlung aber eine Entfernung von zehn Kilometern zu überwinden. Wer kein Auto hat, ist auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Doch der Linienbus fährt nur selten. Wer also in Kirchberg medizinische Hilfe in Anspruch nehmen muss, ist in erster Linie auf die beiden Allgemeinarztpraxen vor Ort angewiesen. Das gilt vor allem für Notfälle.
Dieser Situation hat sich vor acht Jahren Dr. Wolfgang Blank gestellt und eine Landarztpraxis übernommen. Von der frei werdenden Praxis erfuhr er bei einem Vortrag mehr oder weniger durch Zufall. Der 39-Jährige hatte nach dem Studium an Kliniken in Wörth, Roding und Bad Abbach die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin absolviert. Zielstrebig machte er sich nun daran, eine Praxis aufzubauen, die sich an den besonderen Bedingungen einer ländlichen Region orientierte.
Daraus entstand ein innovatives Versorgungsangebot, das sich sehen lassen kann: Von Anfang an spezialisierte sich Wolfgang Blank auf die primäre Diagnostik und Behandlung. Dabei ist für Blank die evidenzbasierte Medizin zentraler Baustein der Patientenversorgung. Darüber hinaus fließen stets persönliche Erfahrungen der behandelnden Ärzte sowie die persönlichen Bedürfnisse der Kranken in die Entscheidung, welche Therapie eingeleitet wird, mit ein. Praxisinterne Leitlinien, von den ärztlichen Mitgliedern des Teams erarbeitet, stellen heute die medizinische Versorgung auf eine valide Basis. Sie beruhen teilweise auch auf Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und anderen zeitnahen Fachempfehlungen.
Ausbauphase
Die Praxis wurde zur Keimzelle der heutigen Gemeinschaftspraxis Kirchberg. Neben Blank wirken hier derzeit zwei weitere Mediziner: Zunächst kam Dr. Thomas Oldenburg, ebenfalls Facharzt für Allgemeinmedizin sowie für Physikalische und rehabilitative Medizin, hinzu. Jüngstes Mitglied im Team ist Jörg Schüren. Der Facharzt für Allgemeinmedizin trat im Herbst 2003 nach dem Ende seiner Dienstzeit als Sanitätsoffizier bei der Bundeswehr in die Praxis ein. Die Mediziner werden darüber hinaus von drei in Vollzeit und zwei in Teilzeit beschäftigen Arzthelferinnen unterstützt.
Das Angebot der Gemeinschaftspraxis ist breit gefächert. Elektrokardiogramm, Sonographie sowie Rektoskopie und Proktoskopie zählen ebenso dazu wie die Audiometrie, der Sehtest und das kleine Labor. Die Skala der Therapiemöglichkeiten reicht von der Tumornachsorge bis hin zur Versorgung in medizinischen Notfällen sowie den Schulungen für Asthma-, Diabetes- und Hypertonie-Patienten. Einen breiten Raum nimmt die häusliche Versorgung der Kranken ein.
Besonders am Herzen liegt den Ärzten der Gemeinschaftspraxis die Betreuung chronisch Kranker und die Nachbehandlung derjenigen Patienten, die in einem bestimmten Krankheitsstadium von einem Spezialisten versorgt werden mussten. Unter den besonderen Modalitäten einer medizinischen Versorgung auf dem Land sind die Praxisöffnungszeiten und die Erreichbarkeit der Ärzte eminent wichtig. Die Gemeinschaftspraxis ist deshalb von Montag bis Freitag durchgehend geöffnet. Ihre Ärzte halten an jedem Werktag vor- und nachmittags Sprechstunden ab. Nächtliche telefonische Bereitschaft sowie die Bereitschaft an Samstagen gehören ebenfalls zum Service. Auf Praxisferien wird verzichtet.
Der Patient ist König
Zu einem sehr frühen Zeitpunkt stellten sich Blank und alle Mitarbeiter den Anforderungen eines wirksamen Qualitätsmanagements. Zuerst wurde die Hygiene in der Praxis verbessert. Innerhalb eines halben Jahres gelang es dem Team der Gemeinschaftspraxis, ein effektives Hygienemanagement in den Tagesablauf zu integrieren. Die positiven Erfahrungen motivierten Wolfgang Blank und seine Partner schließlich dazu, in der Praxis ein umfassendes Qualitätsmanagement für alle Bereiche zu installieren. Seine Kernpunkte sind die optimale Dokumentation sowie umfassende Transparenz durch Außendarstellung.
Auf diese Weise wird die Versorgung kontinuierlich verbessert. Dabei spielen wöchentliche Zusammenkünfte des gesamten Teams eine herausragende Rolle. Die Patienten können sich im ausliegenden Qualitätsbericht informieren. Darüber hinaus erscheint dreimal jährlich eine Praxiszeitung. Die jüngste Maßnahme zur Qualitätssicherung in der Gemeinschaftspraxis Kirchberg bildet ein eigenes Beschwerdemanagement, das die Patienten dazu motivieren soll, Kritik an Praxisabläufen schriftlich oder mündlich zu formulieren. Ein ausgelegtes Beschwerdebuch macht sogar anonyme Unmutsäußerungen möglich.
Vor rund drei Jahren hat die Praxis ihre Patientendokumentation auf elektronische Karteikarten umgestellt. Hier werden sowohl die Behandlungsabläufe vor Ort gespeichert als auch Fremdbefunde eingescannt und bei notwendigen Überweisungen zum Facharzt den weiterbehandelnden Medizinern zur Verfügung gestellt. Wesentlich praktikabler gestaltet sich seither auch die Versorgung chronisch kranker Patienten. Mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung werden sie zum Beispiel an erforderliche Kontrolluntersuchungen erinnert. Derart sensible Daten müssen besonders geschützt werden. Das ist Aufgabe von Praxismitarbeiterin Irmgard List.
Mehr als das Gesetz verlangt
Fortbildung wird in der Gemeinschaftspraxis ebenfalls groß geschrieben: Jährlich wird dafür ein Plan aufgestellt. Interne Fortbildung steht einmal im Monat auf dem Programm. Bei dieser Gelegenheit informieren Mitglieder des Teams, die an externen Schulungen teilgenommen haben, ihre Kollegen über deren Inhalte. Darüber hinaus steht für alle Mitarbeiter der Gemeinschaftspraxis eine Blockfortbildung auf der "Practica" in Bad Orb auf dem Programm. Besonders wichtig sind auch die halbjährlich angesetzten Übungen, um die Versorgung von Notfall-Patienten in der Praxis zu optimieren. Ein besonderes Anliegen ist sowohl den ärztlichen als auch den nichtärztlichen Mitarbeitern die individuelle Betreuung der Patienten. Dabei genießt vor allem die medizinische Versorgung chronisch Kranker einen hohen Stellenwert.
Nachdem die Gemeinschaftspraxis bereits mehrere Jahre beim Diabetes Strukturvertrag mitgemacht hat, erfolgte im Jahr 2004 der nahtlose Übergang auf das Disease-Managment-Programm für Diabetes. Derzeit werden über 95 Prozent der anspruchsberechtigten Versicherten in diesem Behandlungsprogramm versorgt. Darüber hinaus bietet das Praxis-Team bettlägerigen Patienten und Krebskranken eine besondere Betreuung an. So gut wie möglich wird auch auf die Belange geriatrischer Patienten eingegangen. Das reicht von Lesebrillen, die in der Praxis verliehen werden, bis hin zu altersgerechten Sitzgelegenheiten und einer besonders großen Schrift in den Therapieplänen der Senioren.
Die innovative allgemeinmedizinische Versorgung in der Gemeinschaftspraxis Kirchberg im Wald findet über die Grenzen der Region hinaus Anerkennung: Seit 1999 ist sie in das Ausbildungsangebot für angehende Allgemeinmediziner der Technischen Universität München eingebunden. Seither erfahren Studierende dort mehr, unter welchen Bedingungen in einer Landarztpraxis gearbeitet wird. Zudem wurde das Qualitätsmanagement der Gemeinschaftspraxis von der Stiftung Praxistest, einer Initiative der Bertelsmann-Stiftung, zertifiziert. Eine Visitation der Praxis durch das Europäische Praxisassessment haben die Ärzte inzwischen ebenfalls erfolgreich bestanden. Eine weitere Zusammenarbeit gibt es seit zwei Jahren im Rahmen des Studienganges "Gesundheitsmanagement" mit der Fachhochschule im niederbayerischen Deggendorf.
(Text: Jürgen Becker, G+G)
Ansprechpartner:
Dr. Wolfgang Blank
Gemeinschaftspraxis Kirchberg im Wald
Ferdinand Neumaier Strasse 6,
94259 Kirchberg im Wald.
Tel.: 09927 - 441
E-Mail-Kontakt
www.gemeinschaftspraxis-kirchberg.de