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Pflege-Profis mahnen mehr Mut zu Reformen an

Deutscher Pflegetag 2021

Foto vom AOK-Stand: Zwei auf Hockerns sitzende Besucher testen am Rechner die Pflege-Mediathek der AOK

Der Deutsche Pflegerat (DPR) hat vor dramatischen Versorgungsengpässen in der Pflege gewarnt und von der Politik mehr Mut zu Reformen gefordert. Die neue Bundesregierung müsse die Pflege und ihre Finanzierung zu einem Kernthema machen, sagte DPR-Präsidentin Christine Vogler bei der Eröffnung des Deutschen Pflegetages am 13. Oktober 2021 in Berlin. Bereits heute fehlten in Krankenhäusern, in Altenheimen und in der ambulanten Pflege 200.000 Pflegekräfte. Bis 2030 könnten es 500.000 sein. Zugleich werde die Zahl der Pflegebedürftigen von 4,1 Millionen auf 5,1 Millionen steigen.

In einigen Regionen könnten Pflegebedürftige im ambulanten Bereich schon jetzt nicht mehr ausreichend versorgt werden, sagte Vogler. Einschneidende Reformen seien unumgänglich. Um die Pflege langfristig zu bezahlen, müsse die Politik auch die Systemfrage stellen. Die DPR-Präsidentin sprach sich für eine Bürgerversicherung aus. Es brauche eine gerechte Verteilung der Lasten. "Pflegebedürftigkeit wird zur Armutsfalle", bilanzierte sie.

Vogler nannte vier Kernpunkte, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Sie forderte, die Löhne auf 4.000 Euro brutto anzuheben. Auch brauche es mehr Personal, um die Arbeitsbelastung zu senken. Der Beruf müsse aufgewertet werden, indem Pflegende mehr Befugnisse erhielten. Zudem bräuchten die Pflegenden eine starke berufspolitische Vertretung. Bisher würden sie zu wenig in Entscheidungen einbezogen, obwohl sie die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen stellten.

In einem Grußwort würdigte Gesundheitsminister Jens Spahn die Rolle der Pflege in der Pandemie. Zugleich verwies er auf erste Gesetzesschritte für höhere Löhne und mehr Personal. Auch ein Gehalt von 4.000 Euro sehe er perspektivisch. "Da kann ich mitgehen." Aber auch die Politik könne den Personalmangel nicht kurzfristig beheben. "Jedes Krankenhaus, jeder Pflegedienst in Deutschland sucht Personal."

Laut einer aktuellen Analyse sind die Probleme in der Altenpflege besonders ausgeprägt. Dort sei nicht nur die Arbeits- und Gesundheitsbelastung überdurchschnittlich hoch, Altenpfleger bekämen auch etwa 500 Euro weniger Gehalt im Monat als Krankenpfleger, schreibt der Gesundheitswissenschaftler Lukas Slotala in "G+G Wissenschaft".

AOK setzt Impulse

Als größte Pflegekasse war die AOK-Gemeinschaft auf dem Deutschen Pflegetag in Berlin unübersehbar und unüberhörbar: Mit jeweils drei Slots an den zwei Messetagen und dem Stand im Eingangsbereich der Messe hatte sich die AOK thematisch breit aufgestellt. So konnten einerseits wichtige politische Themen und Forderungen platziert und andererseits drängende Themen in der Pflege ausgeführt und diskutiert werden. 

Forderungen an die Politik

Dr. Irmgard Stippler, Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, setzte mit ihrer Forderung für eine Flexibilisierung des Leistungsrechts in der gesetzlichen Pflegeversicherung einen wichtigen Eckpfeiler. Durch die Zusammenfassung in Budgets könnten individuelle Versorgungslösungen erleichtert und dadurch Pflegebedürftige entlastet und zugleich die Mittel der Pflegeversicherung effizienter eingesetzt werden. Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, machte in der Podiumsdiskussion "Kooperation und Koordination als Schlüsselfaktor für eine effizientere Gesundheitsversorgung" deutlich, wie wichtig es ist, Versorgung nicht an den Bedarfen der Menschen vorbeizuplanen. "Gesundheitliche Versorgung ist immer lokal. Versorgungsaufträge müssen neu definiert sowie sektoren- und professionsübergreifend ausgestaltet werden", so Litsch. Es müsse immer an erster Stelle stehen, die bestmögliche Versorgung für die Menschen sicherzustellen. "Um dieses Ziel zu erreichen, ist es an der Zeit, die starren Sektorengrenzen im Gesundheitswesen endlich zu überwinden", forderte Litsch und adressierte diesen Auftrag mit Nachdruck an die neue Bundesregierung.

Gesundheit der Pflegekräfte stärken

Dass eine gute Gesundheitsversorgung auch bedeutet, die Gesundheit derjenigen zu erhalten und zu stärken, die im Gesundheitswesen und der Pflege arbeiten, hat die AOK mit ihrer aktuellen Befragung zum Präsentismus in der Pflege untermauert. Dass jede dritte Führungskraft krank zur Arbeit geht, zeigt, wie wichtig es ist, hier mit Betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF) gegenzusteuern. "Bei den Führungskräften gibt es noch viel Potenzial. Denn sie sind es, die mit ihrem Verhalten auf andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausstrahlen. Gesunde und starke Pflegekräfte stehen für eine gute Pflege", sagte Werner Winter, BGF-Experte beim AOK-Bundesverband. Mit der auf mehrere Jahre angelegten Initiative "Pflege.Kräfte.Stärken." unterstützt die Gesundheitskasse überall in Deutschland ambulante Dienste, stationäre Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser dabei, individuelle Lösungen für gesunde Arbeitsgestaltung zu finden. Ziel ist es, die gesamte Organisation und die Ressourcen der Beschäftigten zu stärken, damit professionell Pflegende gern und lange ihren Beruf ausüben können. Denn Pflege ist ein herausfordernder Job, der den beruflich Pflegenden alles abverlangt. Fast zwei Millionen Frauen und Männer kümmern sich in Deutschland um kranke und pflegebedürftige Menschen. Dabei rückt die eigene Gesundheit häufig in den Hintergrund. Wie der aktuelle Fehlzeiten-Report 2021 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt, sind Beschäftigte in Pflegeberufen überdurchschnittlich oft und deutlich länger krankgeschrieben. 

Familiale Pflege stärken

Drei Viertel der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, die meisten von ihren Angehörigen. Nicht umsonst werden pflegende Angehörige auch als "größter Pflegedienst der Nation" bezeichnet. Dass die familiale Pflege eine große Herausforderung darstellt und deshalb mit vielfältigen Angeboten unterstützt werden muss, machten die Pflege-Expert*innen Dr. Ana Babac (AOK Bayern), Maik Vonau (AOK Nordwest) und Dr. Katharina Graffmann-Weschke (AOK Nordost) auf dem Pflegetag deutlich und stellten verschiedene Angebote vor wie zum Beispiel den AOK-Familiencoach Pflege. Das Online-Programm gibt pflegenden Angehörigen Tipps, den belastenden Pflegealltag besser zu bewältigen und sich vor Überlastung zu schützen. Auch die AOK-Pflegeberatung ist ein stark nachgefragtes Angebot, wie die AOK-Expert*innen betonten. Die Beraterinnen und Berater helfen, sich im Dschungel aus Gesetzen, Anträgen und Informationen besser zurechtzufinden. Beispielsweise unterstützen sie dabei, Anträge auszufüllen und je nach Bedarf unterstützende Angebote vor Ort wie beispielsweise Mobilitätsdienste, Selbsthilfegruppen und Essen auf Rädern zu organisieren. Anhand eines Films wurde auf dem Pflegetag veranschaulicht, mit welchen Problemen pflegende Angehörige jeden Tag aufs Neue konfrontiert werden. Die AOK-Expert*innen betonten, dass die Stärkung der familialen Pflege einen großen Stellenwert für die AOK-Gemeinschaft hat. Auch hier gehe es künftig darum, regionale Unterstützungsangebote bedarfsgerecht noch besser zu gestalten und zu koordinieren.


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