Gesundheitskompetenz ("Health Literacy")
Das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden
International wird das Thema Gesundheitskompetenz bereits seit den 1970er-Jahren intensiv diskutiert. Der englischsprachige Begriff "Health Literacy" bedeutet wörtlich übersetzt: eine "auf Gesundheit bezogene Literalität“. Gemeint sind damit die grundlegenden Schreib-, Lese- und Rechenfertigkeiten, die Menschen benötigen, um schriftliche Informationen wie etwa Gesundheits- und Behandlungsinformationen oder Hinweise zur Medikamenteneinnahme lesen und verstehen zu können. Die internationale Forschung konnte bereits nachweisen, dass eine Steigerung der Gesundheitskompetenz ein hohes Potenzial in Bezug auf die Gesundheit, das Wohlbefinden und die gesundheitliche Chancengleichheit hat. Doch erst um das Jahr 2010 hat diese Erkenntnis Europa wirklich erreicht.
Die Health-Literacy-Debatte hat sich seitdem weiterentwickelt, und mit ihr auch das, was unter diesem Begriff verstanden wird. Anfangs spiegelte sich darin die traditionelle, von ärztlichem Paternalismus geprägte Rollenverteilung zwischen Arzt und Patient wider – der Patient sollte in erster Linie Behandlungsinformationen verstehen und befolgen können. Heute versteht man unter Gesundheitskompetenz den kompetenten Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen, wobei dieser Umgang sich nicht mehr nur auf krankheitsbezogene Informationen zur besseren Behandlung einer Erkrankung bezieht, sondern vor allem auch Informationen umfasst, die im Zusammenhang mit einer Verbesserung und dem Erhalt der Gesundheit stehen.
Große Lücken beim Umgang mit digitalen Gesundheitsangeboten
Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland tut sich schwer damit, Gesundheitsinformationen im Internet zu finden, zu verstehen und für sich zu nutzen. Das zeigt eine Studie der AOK zur digitalen Gesundheitskompetenz, die im Dezember 2020 veröffentlicht wurde. Das Institut Skopos hat im Auftrag des AOK-Bundesverbandes bundesweit 8.500 Frauen und Männer zwischen 18 und 75 Jahren befragt. Der Vorstandsvorsitzende Martin Litsch forderte angesichts der Ergebnisse "verlässliche und leicht verständliche Informationsangebote im Netz".
52,4 Prozent der Befragten verfügt demnach nur über eine eingeschränkte digitale Gesundheitskompetenz. 48,4 Prozent fällt es schwer zu beurteilen, ob die Informationen zuverlässig sind oder nicht. 40,0 Prozent finden es zudem „schwierig“ oder „sehr schwierig“, herauszufinden, ob hinter den Gesundheitsinformationen kommerzielle Interessen stehen. Frauen sowie Personen mit höherem Einkommen und höherer Bildung zeigen tendenziell eine höhere digitale Kompetenz. Personen mit sehr gutem oder gutem Gesundheitszustand haben eine höhere digitale Gesundheitskompetenz als Personen mit mittelmäßigem bis sehr schlechtem Gesundheitszustand.
"Die Umfrage zeigt auf, dass digitale Angebote leicht zugänglich und verständlich sein müssen, damit alle Menschen davon profitieren", so Martin Litsch. Deshalb müssten Barrieren abgebaut werden. Nur so würden die Menschen in die Lage versetzt, die richtigen Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen. Die Gesundheitskasse sei bereits auf einem gesunden Weg. "Wir achten bei der Entwicklung unserer digitalen Angebote darauf, dass die Versicherten die Informationen gut verstehen und letztendlich auch so nutzen können, dass sie ihnen nützen", so Litsch. Ein Paradebeispiel dafür sei der AOK-Gesundheitsnavigator, der genau nach den Kriterien, die für Nutzerinnen und Nutzer wichtig sind, überarbeitet wurde: leichter Zugang, Verständlichkeit und verlässliche Informationen.
Praxishandbuch bietet Orientierung
Im Praxishandbuch "Gesundheitskompetenz im Fokus" greift die AOK die Debatte um Health Literacy auf und lädt zum aktiven Dialog über Chancen und Möglichkeiten einer Stärkung der Gesundheitskompetenz ein. Das Buch präsentiert eine umfassende Auswahl vorbildlicher Projekte und Initiativen aus den unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen, die zeigen, wie es gelingt, gesundheitsrelevante Informationen leichter und besser nutzbar zu machen. Das Buch liefert Ideen, gibt Impulse und motiviert zur Nachahmung.
Maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen hat auf der europäischen Ebene die 2008 erfolgte Beauftragung eines acht Länder umfassenden Konsortiums (European Health Literacy Consortium) durch die EU-Kommission. In Deutschland war die erste bundesweit repräsentative Untersuchung zur Gesundheitskompetenz bei gesetzlich Krankenversicherten, die der AOK-Bundesverband und das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen (WIdO) im Jahre 2014 veröffentlichten, ein wichtiger Meilenstein. Der Auftrag auf EU-Ebene beinhaltete zwei Aufgaben: zum einen das Erstellen einer Definition, die alle bisher bekannten Definitionen berücksichtigte, und zum anderen die Entwicklung eines Fragebogens zur Messung der Gesundheitskompetenz. Begleitet und abgesichert wurden die Entwicklungen durch ein internationales, hochrangig besetztes Expertengremium.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Health Literacy als Gesamtheit aller kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die Menschen motivieren und befähigen, ihre Lebensweise gesundheitsförderlich zu gestalten. Zu diesen Fähigkeiten gehören der Zugang zu, das Verstehen von und ein konstruktiver Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen. Health Literacy gilt als Schlüssel für gesundheitsförderndes Verhalten. Wenn Patienten gut informiert sind, können sie im täglichen Leben besser Entscheidungen treffen, die sich positiv auf ihre Gesundheit auswirken.
Die vier wichtigsten Aspekte von Gesundheitskompetenz
Jeder Zweite fühlt sich überfordert
Die 2012 veröffentlichte Definition des European Health Literacy Consortiums bringt das neue, umfassendere Verständnis von Gesundheitskompetenz sehr gut auf den Punkt: "Gesundheitskompetenz basiert auf allgemeiner Literalität und umfasst das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in den Bereichen der Krankheitsbewältigung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu können, die ihre Lebensqualität während des gesamten Lebensverlaufs erhalten oder verbessern“ (Sørensen, 2012).
Indem diese Definition von Gesundheitskompetenz den Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen auf die Krankheitsbewältigung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung eingrenzte, wurde verhindert, dass sämtliche Fähigkeiten im Umgang mit Gesundheit und Krankheit unter diesem Begriff subsumiert wurden. Dies hätte zu einer deutlichen Unschärfe und Überfrachtung des Begriffs sowie zu einer fehlenden Messbarkeit geführt.
Dank der Digitalisierung können immer mehr Menschen rund um die Uhr auf eine Fülle von Gesundheitsinformationen zugreifen. Gleichzeitig führt der medizinische Fortschritt zu einer immer stärkeren Spezialisierung im Gesundheitssystem. Diese Entwicklung stellt die Bürgerinnen und Bürger vor große Herausforderungen. Um in diesem Meer der Informationen und Optionen sicher navigieren zu können, ist eine ausgeprägte Gesundheitskompetenz unverzichtbar. Darunter versteht man die Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen, kritisch zu beurteilen und auf die eigene Lebenssituation anzuwenden. Wer diese Fähigkeiten nicht oder nur in eingeschränktem Maße besitzt, kann sich weniger gut um seine Gesundheit kümmern.
Repräsentative Untersuchungen haben ergeben, dass mehr als die Hälfte der Bundesbürger nur über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz verfügt – und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten. Eine geringe Gesundheitskompetenz wirkt sich aber nicht nur nachteilig auf die individuelle Gesundheit aus, sondern hat auch Einfluss auf die Nutzung und die Kosten der Gesundheitsversorgung.
Neben den individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten hängt die Gesundheitskompetenz wesentlich davon ab, unter welchen gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen Menschen leben und mit welchen Anforderungen ihre Lebenssituation und ihr Umfeld sie konfrontieren. Die Verbesserung der Gesundheitskompetenz ist darum eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Die AOK engagiert sich bereits seit Jahren

Nur wenn Patienten also gut informiert sind, können sie bessere Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen. Infolge dieser Ergebnisse wurde die AOK schon vor Jahren aktiv. So entwickelte der AOK-Bundesverband gemeinsam mit Wissenschaftlern die AOK-Faktenboxen, die verlässliche Informationen über Maßnahmen wie Impfungen oder Röntgenaufnahmen bei Rückenbeschwerden anschaulich und allgemeinverständlich aufbereiten.
- Digitale Angebote der AOK zur Stärkung der Gesundheitskompetenz
- AOK Faktenboxen: Orientierung für Ihre Gesundheit
- Gesundheits-Apps der AOK
- Erholung und Entspannung
- Fragen Sie nach: AOK Ratgeberforen - Unsere Experten
- Fit durch den Tag
- Abnehmen mit Genuss
- AOK-Arztnavigator
- AOK-Krankenhausnavigator
- AOK-Pflegeheimnavigator
- AOK-Pflegedienstnavigator
- AOK-Checkliste: Arztbesuch
- AOK-Vorsorge
- Impfempfehlungen
- Nichtraucher werden
- Im Krankheitsfall nützlich. Was Sie fragen und wissen sollten
- Laufend in Form
- Diäten im Check
- Rücken aktiv
Die AOK-Faktenboxen stellen mit Grafiken und verständlichen Texten Nutzen und Risiken, Schaden und Nebenwirkungen übersichtlich gegenüber. Damit wird komplexe Wissenschaft so aufbereitet, dass auch Nichtfachleute die Informationen gut verstehen können. Wenn Patienten gut informiert sind, können sie bessere Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen.
Gesundheit fängt mit Lesen an
Über 7,5 Millionen Menschen in Deutschland sind funktionale Analphabeten. Das heißt: Sie können Texte nicht oder nur schwer lesen. Das hat oft auch Folgen für die Gesundheit. Ein Projekt der Stiftung Lesen und des AOK-Bundesverbandes soll helfen, die Gesundheitskompetenz dieser Menschen – Experten sprechen von Health Literacy – zu verbessern.

HEAL - Health Literacy im Kontext von Alphabetisierung und Grundbildung
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Gesamtdokumentation

Gesundheit fängt mit Lesen an
Download des G+G Beitrags 06/18
"Health Literacy" im internationalen Kontext
Weltweit bemühen sich viele Industrieländer schon seit Jahren um die Steigerung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerungen. Im Gesundheitswesen der USA und Kanadas ist das Thema fest verankert. Zahlreiche Handlungshilfen und Curricula zu Ausbildungszwecken in der Schul- und Erwachsenenbildung sind im Einsatz. Sowohl die USA (2010) als auch China (2014) haben nationale Aktionspläne zur Steigerung der "Health Literacy" verabschiedet. In Europa wurde 2010 das Netzwerk "Health Literacy Europe" gegründet.
IROHLA - Gesundheitskompetenz und Health Literacy in Europa
Abgeschlossen ist inzwischen das EU-Projekt IROHLA - "Intervention Research On Health Literacy among Ageing population". Es befasste sich mit der Steigerung der Gesundheitskompetenz bei älteren Menschen in Europa. Von Dezember 2012 bis Ende 2015 arbeiteten in dem Projekt 22 Partner aus neun verschiedenen EU-Mitgliedstaaten (unter anderem Belgien, Deutschland, Griechenland, Niederlande, Ungarn) zusammen mit dem Ziel, einen umfassenden Ansatz zur Steigerung der Gesundheitskompetenz bei der Generation "50 plus" zu entwickeln.
Weitere Informationen zum Thema Health Literacy
Zuletzt aktualisiert: 2020-01-16 22:05