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AOK-Studie: Ernährungskompetenz in Deutschland mangelhaft
ams-Hintergrund

29.07.20 (ams). Mehr als die Hälfte der Deutschen hat Nachholbedarf, wenn es um Wissen und Fertigkeiten rund um gesunde Ernährung geht. Das zeigt die erste bundesweit repräsentative Studie zur"Ernährungskompetenz in Deutschland" des AOK-Bundesverbandes. Der AOK-Medienservice (ams) erklärt den methodischen Aufbau der Studie.
Knapp 2.000 Personen hat die Agentur "Facit Digital" Anfang des Jahres 2020 anonym zu acht Themenfeldern befragt. Die etwa zehnminütige Erhebung fand online statt. Bundesweit interviewte die Agentur Teilnehmer im Alter von 18 bis 69 Jahren, die stichprobenartig auf Basis des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts ausgewählt wurden. Das Ergebnis: Fast 52 Prozent der Befragten verfügt über eine problematische, 2,1 Prozent sogar über eine inadäquate Ernährungskompetenz. Ihnen fehlt es beispielsweise an Wissen über abwechslungsreiche Ernährung und die Nährwertangaben auf Verpackungen.
29 Fragen zu acht Bereichen
Methodisch teilt sich die Studienerhebung in zwei Teile auf: Der erste misst die selbst wahrgenommene Ernährungskompetenz, die sogenannte Food Literacy. Der Fragenkatalog, den der AOK-Bundesverband mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundeszentrum für Ernährung und dem Max-Rubner-Institut abgestimmt hatte, orientiert sich konzeptionell an einer Studie aus den Niederlanden.
Die Teilnehmenden beantworteten 29 Fragen zu acht Bereichen, die von Vorratshaltung über Kochen bis zum Snacken die Bandbreite der Ernährungskompetenz abdecken. Insgesamt hatten die Teilnehmer fünf Antwortmöglichkeiten, die von "Ja, immer" über "Ja, meistens", und "Manchmal ja, manchmal nein" bis hin zu "Nein, normalerweise nicht" und "Nein, nie" reichten. Auf die Frage, ob sie für sich selbst gesunde Snacks dabeihaben, wenn sie unterwegs sind, antwortete beispielsweise über die Hälfte der Befragten mit "Nein, normalerweise nicht" oder "Nein, nie". Eine andere Frage lautete: "Sind Sie in der Lage, sich gesund zu ernähren, wenn Sie sich gestresst fühlen (oder unter Stress stehen)?" Hier verneinte ein gutes Viertel der Befragten.
Im Teilbereich "Gesund vergleichen" war von Interesse, ob die Teilnehmer die Nährwertkennzeichnung von Produkten auf ihren Kalorien-, Fett-, Zucker- oder Salzgehalt überprüfen. 45 Prozent gaben an, dies nicht oder nie zu tun. Bei der Frage "Vergleichen Sie den Kalorien-, Fett-, Zucker- oder Salzgehalt verschiedener Produkte miteinander?" waren es die Hälfte der Teilnehmer. Die Frage "Finden Sie es wichtig, am Esstisch zu sitzen, wenn Sie gemeinsam mit anderen essen?" beantworteten 45 Prozent mit "Ja, immer". Zusammengefasst fiel der Vergleich von Lebensmitteln und das Planen der Mahlzeiten den Befragten am schwersten. Vergleichsweise leicht fiel ihnen die Zubereitung von Lebensmitteln.
Basierend auf den Antworten wurde ein Wert ermittelt, der der Ernährungskompetenz der Befragten entspricht. Dieser gemessene Wert, der Food Literacy Score, berechnet sich aus dem Mittelwert der 29 Antworten der Teilnehmer auf die Fragen zum Verhalten und zur Einstellung rund um das Thema Ernährung. Dieser Score konnte einen Wert von eins bis fünf haben, wobei fünf das bestmögliche Ergebnis ist und für die höchste Kompetenz im Bereich Ernährung steht, während die Eins einen unzureichenden Wissensstand anzeigt. Der Befragung zum Food Literacy Score gingen zwölf Fragen zu soziodemografischen Aspekten wie Familienstand, Herkunft, Haushaltsgröße, Bildung und Einkommen der Studienteilnehmer voraus.
Selbstauskunft kann Ergebnisse verzerren
Die niederländischen Entwickler der Fragemethode um Forscherin Maartje P. Poelman von der Universität Utrecht weisen generell auf Einschränkungen ihres Messinstruments hin: Da die gemessenen Ergebnisse alle auf der Selbstauskunft der Teilnehmer beruhten, sei es möglich, dass sich dadurch eine Verzerrung ergebe. So könnten die Teilnehmer dazu tendieren, eher ihre guten Vorsätze als ihr wirkliches Verhalten zu dokumentieren.
Um dem entgegenzuwirken, wurde im zweiten Teil der Erhebung der „Newest Vital Sign-Test“ (NVS) angewandt. Mit diesem Test wird die Fähigkeit gemessen, die komplexe Beschreibung eines Konsumprodukts lesen und verstehen zu können. Aufgabe der Teilnehmenden war es hier, sechs Fragen zu Nährwert- und Inhaltsangaben einer Eiscreme-Packung zu beantworten. Je nach Anzahl der richtigen Antworten wurde hier zwischen einer adäquaten Literalität (vier bis sechs richtige Antworten), einer teilweise eingeschränkten (zwei bis drei richtige Antworten) und einer eingeschränkten Literalität (keine oder eine richtige Antwort) unterschieden.
Bei diesem Studienteil erreichten 72 Prozent eine adäquate und 18 Prozent eine möglicherweise eingeschränkte Gesundheitskompetenz. Allerdings erzielten zehn Prozent lediglich eine sehr wahrscheinlich eingeschränkte Kompetenz – diese 28 Prozent entsprichen hochgerechnet rund 15,8 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die Schwierigkeiten mit der Nährwertkennzeichnung haben. Der NVS-Test zeigte, dass die objektive Messung und die Selbsteinschätzung der Teilnehmer im Allgemeinen miteinander einhergehen.
Ein direkter Vergleich der Ergebnisse beider Messinstrumente ist jedoch nicht zulässig, da jeweils verschiedene Komponenten von Ernährungs- und Gesundheitskompetenz gemessen werden. Beide Fragebögen sind aber als gute Ergänzung zueinander anzusehen.
Um die Ernährungskompetenz in Deutschland zu steigern, bedarf es einer breit angelegten, strukturierten und langfristigen gesamtgesellschaftlichen Strategie. Sie muss sich an die individuelle und die institutionelle Ebene richten und Lebensmittelindustrie und Einzelhandel genauso umfassen wie Kommunen, Bildungseinrichtungen, Arbeitsplätze und Betriebe, Medien und Forschung.