Mindestmengen: Instrument für mehr Patientensicherheit
Mindestmengen haben das Ziel, dass besonders anspruchsvolle, komplizierte und planbare Operationen und Behandlungen nur in Kliniken durchgeführt werden, die über ein Mindestmaß an Erfahrung verfügen. Sie basieren auf Studien, die einen Zusammenhang zwischen Routine und Behandlungsergebnis belegen: In Kliniken, die die Mindestmengen einhalten, sind das Sterblichkeitsrisiko und das Risiko für Komplikationen bei den behandelten Patientinnen deutlich niedriger als in Krankenhäusern, die nur wenige Eingriffe pro Jahr durchführen. Daher sind die gesetzlichen Mindestmengen ein wichtiges Instrument für mehr Patientensicherheit.
Mangelhafte Umsetzung in der Vergangenheit
In der Vergangenheit sind die Mindestmengen in vielen Fällen nicht konsequent umgesetzt worden. Sowohl die Krankenkassen als auch die für die Krankenhausplanung zuständigen Bundesländer konnten den Kliniken komplizierte Behandlungen nicht verbieten, obwohl diese die vorgegebenen Fallzahlen nicht erreichten. Ursache war eine Vielzahl von ungeregelten Tatbeständen, die oftmals Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen waren. Auch fehlende Sanktionsmöglichkeiten trugen dazu bei, dass viele Kliniken die Mindestmengen nicht einhielten. Der AOK-Bundesverband hat die mangelhafte Umsetzung der Mindestmengen in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert.
- Zu welchen Behandlungen gibt es Mindestmengen?
Mindestmengen gelten aktuell für die Implantation von künstlichen Kniegelenken (50 Fälle pro Jahr), Transplantationen von Leber (20), Niere (25) und Stammzellen (25), komplexe Operationen an Speiseröhre (26 ab 2023, vorher 10) und Bauchspeicheldrüse (10) sowie die Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm (1420 ab 2023, vorher 14). Ab 2024 greifen vom Gemeinsamen Bundesausschuss bereits beschlossene Mindestmengen für Brustkrebs-Operationen und für thoraxchirurgische Behandlungen von Lungenkrebs.
- Auf welcher Basis und vom wem werden Mindestmengen festgelegt?
Die Mindestmengen-Regelungen werden vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) im Rahmen seiner Aufgaben zur Qualitätssicherung beraten und beschlossen. In der Verfahrensordnung des GBA ist der Prozess zur Einführung einer neuen Mindestmenge im Detail festgelegt. Dazu gehören eine systematische Literaturrecherche und eine umfangreiche Folgenabschätzung. Auf dieser Basis wird die Mindestmenge vom GBA normativ festgelegt. Die konkreten Schwellenwerte lassen sich kaum wissenschaftlich ableiten. Der grundsätzliche Zusammenhang zwischen der Anzahl der Leistungen und der Qualität der Behandlungsergebnisse kann für viele Behandlungen wissenschaftlich klar nachgewiesen werden. Aufgrund unterschiedlicher Vorbedingungen in den einzelnen Studien ist es aber schwer, daraus eine konkrete Fallzahl-Untergrenze abzuleiten. Es handelt somit um einen normativen Akt - vergleichbar mit der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Straßen.
- Wie oft wird die Mindestmengen-Transparenzkarte der AOK aktualisiert?
Die Mindestmengen-Transparenzkarte wird laufend aktualisiert, da sich auch im Laufe des Jahres Änderungen ergeben können – zum Beispiel, wenn weitere Kliniken die Mindestmengen-relevante Leistung erstmalig erbringen. Der aktuelle Stand der Karte ist für jede Behandlung in der Karte angegeben. Eine vollständige Aktualisierung aller Daten erfolgt Ende 2023, wenn die Landesverbände der Krankenkassen entschieden haben, welche Kliniken im Jahr 2024 Mindestmengen-relevante Operationen durchführen dürfen.
Geänderte Regeln greifen seit Mitte 2019
Mit dem Krankenhaus-Strukturgesetz vom 1. Januar 2016 hat der Gesetzgeber einen neuen gesetzlichen Rahmen geschaffen. Ziel war es, die rechtssichere Umsetzung der Mindestmengen zu verbessern. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat auf dieser Basis eine neue Mindestmengen-Regelung beschlossen, die am 1. Januar 2018 in Kraft getreten ist und seit Mitte 2019 greift: Bis zum zu einem Stichtag Mitte des Jahres müssen die Krankenhausträger den Krankenkassen in ihrem Bundesland ihre aktuellen Fallzahlen für die Mindestmengen-relevanten Behandlungen melden. Zudem geben sie eine Prognose über die OP-Zahlen im Folgejahr ab. Die Landesverbände der Krankenkassen prüfen diese Angaben und entscheiden dann, ob sie die Prognose akzeptieren oder sie aufgrund begründeter Zweifel widerlegen.
AOK-Karte mit aktuellen Fallzahlen
Das Ergebnis dieses Prozesses zeigt die Mindestmengen-Transparenzkarte der AOK-Gemeinschaft: Sie bildet alle Kliniken in Deutschland ab, die seit 2020 Mindestmengen-relevante Operationen mit besonders hohen Risiken für die Patienten durchführen dürfen – inklusive der von den Kliniken gemeldeten Fallzahlen. Diese können Patienten und einweisenden Ärzten wichtige Hinweise auf die Routine der operierenden Ärzte geben. Denn eine positive Prognose konnten auch Kliniken erhalten, die die notwendige Zahl von OPs aus organisatorischen oder personellen Gründen nicht erbracht haben – aber glaubhaft nachweisen konnten, dass die Gründe dafür ausgeräumt wurden. In den letzten drei Entscheidungs-Runden wurden auch die Covid-19-Pandemie und die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Mindestmengen berücksichtigt.
Die Mindestmengen-Transparenzkarte zeigt auch, welche Kliniken ihre "Leistungserlaubnis" das erste Mal oder nach einer mindestens zweijährigen Unterbrechung erhalten haben (blaue Punkte). Und sie zeigt die seltenen Fälle, in denen Kliniken ihre OP-Berechtigung durch die zuständige Landesbehörde im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen erhalten haben, um die flächendeckende medizinische Versorgung in dem jeweiligen Land sicherzustellen (orange Punkte). Sämtliche Informationen aus der Karte fließen auch in den Gesundheitsnavigator der AOK ein, der Patienten und Ärzte über die Qualität von Kliniken informiert.
Krankenhäuser, die auf der Karte nicht auftauchen, dürfen die jeweilige Behandlung nicht durchführen. Sie können sie infolgedessen auch nicht mit der AOK oder mit den anderen Krankenkassen abrechnen.
AOK für höhere und zusätzliche Mindestmengen
Die Mindestmengen haben in einigen Leistungsbereichen bereits zu einer gewissen Konzentration von Leistungen geführt. Zudem ist die Transparenz, die durch die regelmäßige Meldung der Fallzahlen an die Krankenkassen entsteht, ist ein wichtiger Fortschritt. Aus Sicht der AOK ist es aber mit einer Durchsetzung der bereits bestehenden Mindestmengen für sieben Behandlungen nicht getan: Eine Ausweitung auf weitere Operationen und Eingriffe, bei denen der Zusammenhang zwischen Menge und Behandlungsergebnis in Studien nachgewiesen werden konnte, ist notwendig. Die Einführung zusätzlicher Mindestmengen für Operationen bei Darmkrebs, Herzklappen-Implantationen oder Hüftprothesen-Implantationen ist aus Sicht der AOK sinnvoll. Bei all diesen Indikationen operieren immer noch zu viele Kliniken mit zu wenig Routine und zu geringen Fallzahlen. Die Folgen für die behandelten Patienten sind mitunter fatal: Sie reichen von häufigeren Komplikationen bis zu erhöhten Sterblichkeitsraten.
Auch eine Erhöhung der bestehenden Mindestmengen ist aus Sicht der AOK in vielen Fällen sinnvoll. Erste Schritte dazu sind bereits getan worden: Ende 2020 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) eine Erhöhung der Mindestmengen für die Speiseröhren-OPs von 10 auf 26 Eingriffe pro Jahr ab 2023 und für die Versorgung der Neugeborenen mit einem Aufnahmegewicht von unter 1.250 Gramm von 14 auf 20 Fälle pro Jahr ab 2023 und auf 25 Fälle pro Jahr ab 2024 beschlossen. Zusätzlich werden ab 2024 bereits vom GBA beschlossene Mindestmengen für Brustkrebs-Operationen und für thoraxchirurgische Behandlungen von Lungenkrebs greifen. Aktuell berät der GBA über die Einführung weiterer Mindestmengen, unter anderem für die Durchführung von Herztransplantationen. Zudem wird über die Aktualisierung der bestehenden Mindestmenge zur Implantation künstlicher Kniegelenke und über die Neukonzeption der Mindestmenge zu Stammzelltransplantationen beraten.