Rahmen für "Apps auf Rezept" steht: Es ist Zeit, dass die Verhandlungen beginnen
ams-Interview mit Katrin Krämer, Leiterin der Abteilung Versorgungsmanagement

23.04.21 (ams). Seit Mitte 2020 hat der GKV-Spitzenverband mit Vertretern der Hersteller von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) über eine Rahmenvereinbarung verhandelt. Sie soll den organisatorischen und inhaltlichen Rahmen für die Verhandlungen zwischen Herstellern und Kassen über die Vergütung der "Apps auf Rezept" bilden. Im Dezember 2020 wurde die gemeinsame Schiedsstelle um Vermittlung gebeten, da einige Punkte bis zuletzt strittig geblieben sind. Nun gibt es eine Entscheidung über die Rahmenvereinbarung, die das besonders umstrittene Thema "Höchstbeträge" allerdings ausklammert. "Das hat die nun vorliegende Entscheidung gewiss beschleunigt", sagt Katrin Krämer, Leiterin der Abteilung Versorgungsmanagement im AOK-Bundesverband. Im Gespräch mit dem AOK-Medienservice (ams) äußert sich Krämer zu den Ergebnissen des Schiedsstellen-Verfahrens und den Plänen des Gesetzgebers, mit dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) beim Thema DiGAs nachzubessern.
Frau Krämer, wie bewerten Sie die aktuellen Entscheidungen der gemeinsamen Schiedsstelle?
Krämer: Die Ergebnisse des Schiedsstellen-Verfahrens zur Wirtschaftlichkeit der DiGAs sehen wir positiv. Die Verbände der DiGA-Hersteller haben ja den Standpunkt vertreten, dass die indikationsgerechte Verordnung einer zugelassenen DiGA per se als wirtschaftlich gelten sollte. Die Kassen haben eine derartige Regelung stets abgelehnt. Die Schiedsstelle hat sich in dieser Frage der Position des GKV-Spitzenverbandes angeschlossen. Das Thema der wirtschaftlichen Verordnung muss zwischen Kassen- und Ärztevertretern verhandelt werden, das ist in der DiGA-Rahmenvereinbarung fehl am Platze. Insofern sind wir froh über diese Entscheidung.
In einem anderen Punkt hat sich die Schiedsstelle der Position der Hersteller angeschlossen. Sie betrifft die sogenannten Erprobungs-DiGAs – und damit die Mehrheit der derzeit im BfArM-Verzeichnis gelisteten Anwendungen. Die Preisverhandlungen über diese vorläufig aufgenommenen DiGAs sollen laut der Entscheidung nicht im ersten Jahr, sondern erst nach der Erprobung und der finalen Aufnahmeentscheidung des BfArM beginnen. Diese Entscheidung war auch vor dem Hintergrund des aktuellen Entwurfs für das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz DVPMG zu erwarten, aber sie ist nicht unproblematisch. Denn wenn man davon ausgeht, dass der verhandelte Vergütungsbetrag in der Regel niedriger ausfallen wird als der vom Hersteller festgelegte Preis, ergeben sich aufgrund der Gültigkeit des Vergütungsbetrages ab dem 13. Monat womöglich Rückzahlungspflichten der Hersteller an die Krankenkassen. Das wiederum kann zu nicht abgesicherten Ausfallrisiken für die gesetzlichen Krankenkassen führen.
Mit dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz will der Gesetzgeber beim Thema DiGAs nachbessern. Wie steht die AOK dazu?
Krämer: Der Gesetzgeber hat die Etablierung des neuen Leistungsanspruchs bewusst als iterativen Prozess angelegt. Unsere Erwartung war daher, dass er mit dem geplanten neuen Gesetz auf Fehlentwicklungen und Fehlanreize reagiert, die sich nach dem Start der DiGAs gezeigt haben. Das DVPMG nimmt auch erste wichtige Anpassungen vor, die wir in unserer Stellungnahme gefordert haben. Dazu gehört das Verbot von Rechtsgeschäften zur Zuweisung oder Übermittlung von DiGA-Verordnungen. Auch die Einführung eines Zertifizierungsverfahrens zum Nachweis der Datenschutzanforderungen ist ein wichtiger Fortschritt.
Unsere wichtigsten Anliegen werden im Gesetzentwurf bisher aber nicht adressiert. Wir fordern auch für DiGAs grundsätzlich gleich hohe Anforderungen an den evidenzbasierten Nutzen wie in anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung. Im Sinne der Patientensicherheit muss ausgeschlossen werden, dass der Schaden einer DiGA für die Patientinnen und Patienten womöglich größer ist als der Nutzen.
Die AOK hat ja von Anfang die Regelungen zu den DiGA-Preisen kritisiert. Was sollte der Gesetzgeber hier ändern?
Krämer: Wir fordern eine grundlegende Reform der Preisbildung bei den DIGAs. Die Erfahrungen aus der Startphase zeigen, dass mehr Wettbewerbs- und Wirtschaftlichkeitsanreize nötig sind. Ein wesentlicher Knackpunkt ist der im ersten Jahr nach Markteinführung und Listung im DiGA-Verzeichnis vom Hersteller selbst festgesetzte Preis. Wenn man die Erfahrungen aus der Arzneimittelversorgung heranzieht, ist zu befürchten, dass dieser „Startpreis“ eine Benchmark für die späteren Vergütungsbehandlungen setzt. Daher fordern wir die Abschaffung der freien Preisfestsetzung durch die Hersteller.
Wenn man nach einer Alternative sucht, lohnt sich der Blick in den DVPMG-Entwurf. Obwohl das Bundesgesundheitsministerium bei den digitalen Pflegeanwendungen grundsätzlich die gleiche Struktur wie bei den DiGAs vorsieht, ist für die DiPAs bereits direkt nach Markteintritt der Einstieg in dreimonatige Preisverhandlungen vorgesehen. Im Ergebnis gilt dann bereits ab Markteinführung und nicht erst ab dem 13. Monat ein Preis, der von beiden Seiten verhandelt worden ist. Das ist eine sinnvolle Weiterentwicklung der Preisbildung, die man auch auf die DiGAs übertragen sollte.
Das Thema "Höchstbeträge" ist ja in der Schiedsstellen-Entscheidung ausgeklammert worden. Wie bewerten Sie das - und wie geht es jetzt bei diesem Thema weiter?
Krämer: Dass dieses Streitthema ausgeklammert wurde, hat die nun vorliegende Entscheidung gewiss beschleunigt. Das ist gut, denn die ersten DiGAs wurden bereits vor mehr als sechs Monaten gelistet. Es ist nun an der Zeit, dass die Verhandlungen hierzu beginnen, damit der Herstellerpreis bereits mit Beginn des 13. Monats vom verhandelten Vergütungsbetrag abgelöst werden kann.
Mit der Entscheidung der Schiedsstelle sind die Verhandlungen zur Rahmenvereinbarung zwischen Herstellerverbänden und GKV-Spitzenverband aber noch nicht beendet. Zu dieser Thematik ruht das Schiedsverfahren. Wenn hier keine Einigung auf dem Verhandlungsweg erzielt werden kann, wird auch das Thema Höchstbeträge durch die Unparteiischen festgesetzt werden müssen. Nach Abschluss der Verhandlungen oder gegebenenfalls des Schiedsverfahrens wird der Rahmenvertrag dann ergänzt.