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Europa
Die Gesundheitspolitik in der Europäischen Union

Die Gesundheitspolitik in der Europäischen Union (EU) ist nach wie vor eine Angelegenheit der Nationalstaaten. Im Vertrag von Amsterdam ist ausdrücklich festgelegt, dass die Mitgliedstaaten die volle Verantwortung für die Organisation des nationalen Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung tragen. Nichtsdestotrotz gewinnt die EU auf diesem Politikfeld immer mehr an Bedeutung. So verfügt sie über entsprechende Kompetenzen, um die Mitgliedstaaten zu unterstützen und ihre Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Gesundheitswesens zu fördern. Allerdings gilt bei allen Aktivitäten der EU grundsätzlich das Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, dass die EU nur dann ins gesundheitspolitische Geschehen eingreifen darf, wenn die betreffenden Angelegenheiten nicht auf einzelstaatlicher Ebene gelöst werden können. Wesentlich für die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ist, dass die Zuständigkeit für die Gestaltung der Gesundheitssysteme bei den Mitgliedstaaten bleibt.
Europäisierung der Gesundheitspolitik
Die wachsende Rolle der EU im Politikfeld Gesundheit resultiert zum einem aus dem im Jahr 2000 auf der Regierungskonferenz von Nizza verabschiedeten Vertrag. Dieser Vertrag weist der EU in der Gesundheitspolitik eine Reihe von Zuständigkeiten zu. Als gesundheitspolitische Aufgaben und Ziele der EU gelten die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten, die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit und die Bekämpfung der weit verbreiteten schweren Krankheiten sowie Förderung von Gesundheitsinformation und -erziehung. Um diese Ziele zu erreichen, kann der Ministerrat Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung beschließen. Allerdings bleibt es jedem Mitgliedstaat überlassen, wie er diese Maßnahmen auf seinem Territorium gestaltet. Die EU-Beschlüsse dürfen darüber keine bindenden Bestimmungen enthalten.
Glossar
- Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA)
Zur Durchführung des zentralen Zulassungsverfahrens (Arzneimittelzulassung) wurde zum 1. Januar 1995 durch die EU-Mitgliedstaaten die EMEA mit Sitz in London gegründet. Die Agentur ist zuständig für die Zulassung biotechnologisch hergestellter Arzneimittel, daneben kann die zentrale Zulassung wahlweise auch für Arzneimittel mit einem innovativen Wirkstoff beantragt werden. Die EMEA besteht unter anderem aus dem Ausschuss für Arzneispezialitäten und einem Ausschuss für Tierarzneimittel. Die Agentur koordiniert die Tätigkeiten der Mitgliedsstaaten zur Überwachung der Nebenwirkung von Arzneimitteln (Pharmakovigilanz) sowie Überprüfungen der Einhaltung guter Herstellungspraktiken, guter Laborpraxis und guter klinischer Praktiken.
- EU-Dienstleistungsrichtlinie (RL 2006/123/EG)
bildet den Rechtsrahmen für einen gemeinsamen Binnenmarkt. Sie ermöglicht es, Dienstleistungen über Ländergrenzen hinweg genauso leicht zu erbringen wie innerhalb eines Mitgliedstaates. Sie ist ein wichtiges Reformvorhaben bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie. Nach Zustimmung des Rates der Europäischen Union ist die Richtlinie Ende Dezember 2006 in Kraft getreten. Die Mitgliedstaaten hatten bis Ende 2009 Zeit, sie umzusetzen.
Mehr Informationen zur EU-Dienstleistungsrichtlinie
- Initiativrecht
ist das Recht, Gesetzentwürfe zur Abstimmung vorzulegen. Im politischen System der Europäischen Union hat die EU-Kommission das alleinige und exklusive Recht, Vorschläge für EU-Rechtsakte (Richtlinien, Verordnungen) zu machen und damit ein Gesetzgebungsverfahren zu initiieren. Ministerrat und EU-Parlament können zwar die Kommission auffordern, einen Vorschlag zu unterbreiten, jedoch keine eigenen Gesetzesvorlagen einbringen.
- Die Kopenhagener Kriterien
sind 1993 vom Europäischen Rat in Kopenhagen formulierte Anforderungen, die ein Staat erfüllen muss, um der Europäischen Union beitreten zu können.
- Politik: institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten. Dieses Kriterium ist die Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen über den Beitritt eines Landes.
- Wirtschaft: funktionstüchtige Marktwirtschaft
- Acquis-Kriterium: die Fähigkeit, alle Pflichten der Mitgliedschaft ("Acquis communautaire", gemeinsamer Besitzstand) zu übernehmen; das heißt, die Länder müssen sich die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu eigen machen.
- Die Lissabon-Strategie
Auf der Tagung des Europäischen Rates in Lissabon im März 2000 haben die Staats- und Regierungschefs die "Lissabon-Strategie" auf den Weg gebracht. Ziel ist es, die EU zur wettbewerbsfähigsten Wirtschaft der Welt zu machen und bis 2010 Vollbeschäftigung zu erreichen. Dabei haben sich die Mitgliedstaaten auf drei Schwerpunkte geeinigt. Sie wollen
- Forschung und Entwicklung fördern
- ihre Sozialmodelle modernisieren, indem sie noch mehr in die Humanressourcen investieren und die soziale Ausgrenzung bekämpfen
- verstärkt natürliche Ressourcen nutzen.
- Offene Methode der Koordinierung (OMK)
ist seit 2000 ein neuartiges Regulierungsinstrument in der Gesundheitspolitik der EU. Die OMK soll die freiwillige Kooperation und den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten verbessern und ihnen auf diese Weise eine Hilfestellung bei der Weiterentwicklung ihrer nationalstaatlichen Politik geben. Diese Methode wird bereits in der Arbeitsmarktpolitik und in der Rentenpolitik angewandt.
- Patientenmobilität
Nach dem Gemeinschaftsrecht haben Patienten einen Anspruch auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zufolge haben sie das Recht,
- jegliche ambulante Versorgung, zu der sie in Ihrem Heimatland berechtigt sind, ohne vorherige Genehmigung in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen. Die Kosten dieser Versorgung müssen bis zu der Höhe erstattet werden, die auch für die Versorgung im eigenen Land erstattet würde.
- jegliche stationäre Versorgung, zu der sie in ihrem Heimatland berechtigt sind, mit vorheriger Genehmigung auch in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen. Diese Genehmigung muss erteilt werden, wenn das eigene Gesundheitssystem die Versorgung nicht innerhalb der für die Erkrankung medizinisch notwendigen Frist sicherstellen kann. Auch hier müssen die Kosten mindestens bis zu der Höhe erstattet werden, die auch für die Versorgung im eigenen Land erstattet würde.
Allerdings besteht nach wie vor Unsicherheit darüber, wie diese Grundsätze in der Praxis von Patienten, Beschäftigten des Gesundheitswesens und den Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten anzuwenden sind.
- Petitionsrecht
ist das Recht jedes EU-Bürgers sowie jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, einen Antrag oder eine Beschwerde in Angelegenheiten, die in die Tätigkeitsbereiche der EU fallen und die den Antragsteller unmittelbar betreffen, an das Europäische Parlament zu richten.
Der Petitionsausschuss des Parlaments prüft den Antrag auf seine Zulässigkeit hin. Er kann, falls er dies für zweckmäßig hält, Fragen an den Bürgerbeauftragten richten. Wird eine Petition als zulässig erklärt, so kann der Petitionsausschuss die Kommission auffordern, ihm Informationen zu übermitteln. Er kann die Petition zu Informationszwecken an andere parlamentarische Ausschüsse weiterleiten, damit diese entsprechende Maßnahmen ergreifen.
- Richtlinie
eine EU-Rechtsvorschrift, die sich an die Mitgliedstaaten richtet und sie verpflichtet, bestimmte Ziele zu verwirklichen. Dabei bleibt den Mitgliedstaaten aber ein Gestaltungsspielraum, in welcher Form und mit welchen Mitteln sie die Richtlinie ins nationale Recht umsetzen.
- Subsidiaritätsprinzip
ist ein gesellschaftspolitisches Prinzip, das besagt: Staatliche Tätigkeit sollte dem Grundsatz nach unterstützend oder ersetzend (subsidiär) sein, also nur dann eingreifen, wenn andere, nicht staatliche Einrichtungen oder Akteure nicht in der Lage sind, ein Problem zu bewältigen. Für die EU heißt es, solange ein Ziel auf dezentraler Ebene besser erreicht werden kann, soll die EU sich nicht einmischen. Der Vertrag von Maastricht schreibt fest, dass dieser Grundsatz in all den Bereichen gilt, in denen der EU keine ausschließliche Zuständigkeit verliehen wurde.
- Verordnung
eine EU-Rechtsvorschrift, die direkt in allen Mitgliedstaaten gilt. Verordnungen sind für die Mitgliedstaaten, ihre Behörden und Organe unmittelbar verbindlich. Steht eine Verordnung im Konflikt mit einem nationalen Gesetz, so hat die EU-Verordnung Vorrang.
Weitergehende Kompetenzen hat die EU beim Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und beim Verbraucherschutz, der den Gesundheitsschutz und die Sicherheit der Verbraucher einschließt. Hier kann die EU durch Richtlinien Mindeststandards setzen, die für die Mitgliedstaaten verbindlich sind.
Zum anderen beruht der Bedeutungszuwachs Europas in der Gesundheitspolitik auf den Folgen der fortschreitenden europäischen Integration. Hintergrund dieser Entwicklung ist ein Spannungsverhältnis zwischen europäischem Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht und dem Sozialrecht der Mitgliedstaaten. Laut EG-Vertrag liegt zwar die alleinige Kompetenz für die Ausgestaltung des Gesundheitswesens bei den Nationalstaaten. Allerdings müssen sie bei der Ausübung ihrer Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten. Das hat zur Folge, dass die Mitgliedstaaten den in der EU geltende freien Verkehr von Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital auch im Bereich des Gesundheitswesens gewährleisten müssen. Mit seiner integrationsfreundlichen Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof diese Grundregel untermauert. So hat er unter Berufung auf den freien Dienstleistungsverkehr die Rechte der Patienten bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im Ausland erweitert und die Krankenversicherer zur Kostenerstattung verpflichtet.
Als Reaktion darauf hat der deutsche Gesetzgeber das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) an die EuGH-Rechtsprechung angepasst. So sieht das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) von 2004 Kostenerstattungsregeln für die Behandlung im EU-Ausland vor. Außerdem ist es den Krankenkassen seitdem auch gestattet, Versorgungsverträge mit Leistungserbringern in anderen EU-Mitgliedstaaten abzuschließen
Die Chronik der EU-Gesundheitspolitik
Bereits in der Urfassung des EG-Vertrags von 1957 war ein Artikel zu Gesundheit und Arbeitsschutz enthalten. Doch erst seit den EG-Verträgen von Maastricht und Amsterdam 1993 und 1999 besteht eine Gemeinschaftskompetenz der EU für die öffentliche Gesundheit.
Mehr Informationen zur Entwicklung der Gesundheitspolitik in der EU
Die fünf wichtigsten Institutionen der EU
Der Europäische Rat entscheidet über Grundlinien und Ziele der EU. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Kompromisse bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten zu finden und Impulse für die weitere Entwicklung der Union zu geben. Er setzt sich zusammen aus den Regierungs- beziehungsweise Staatschefs der Mitgliedstaaten. Die jeweiligen Außenminister und der Präsident der Europäischen Kommission nehmen in beratender Funktion an den Ratssitzungen teil. Der Vorsitz wechselt halbjährlich turnusgemäß zwischen den Mitgliedstaaten. Der Europäische Rat tritt mindestens zweimal, in der Regel viermal pro Jahr zusammen.
Weitere Informationen zum Europäischen Rat
Rat der Europäischen Union, auch der Ministerrat genannt, ist das wichtigste politische Entscheidungsorgan der Europäischen Union. Er übt Legislativgewalt aus, koordiniert die allgemeine Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, legt die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik fest, schließt im Namen der Gemeinschaft internationale Abkommen ab und bildet gemeinsam mit dem Europäischen Parlament die Haushaltsbehörde, die den Haushaltsplan der Gemeinschaft festlegt. Er setzt sich aus Ministern der Mitgliedstaaten zusammen. Je nach behandeltem Thema kommen im Rat die Vertreter der zuständigen Ministerien zusammen, wobei die Kompetenzen des Rates auf das jeweilige Ressort beschränkt sind. Der Rat der Europäischen Union tagt zumeist in unregelmäßigen Abständen. Den Vorsitz führt der zuständige Minister des Mitgliedstaates, das auch den Vorsitz im Europäischen Rat innehat.
Neben dem Ministerrat ist das Europäische Parlament (EP) das zweite gesetzgebende Organ in der EU. Seit 1979 wird es alle fünf Jahre direkt von den Bürgern der Mitgliedstaaten in allgemeinen, unmittelbaren, freien und geheimen Europawahlen gewählt. Somit ist das Europaparlament die einzige direkt gewählte supranationale Institution weltweit.
Das EP zählt zurzeit 785 Abgeordnete, wobei sich die Zahl der Abgeordneten eines Mitgliedstaates im Grundsatz nach der Bevölkerungszahl richtet. Das Parlament teilt sich die Gesetzgebungsfunktion mit dem Rat der Europäischen Union. In den meisten Politikfeldern gilt dafür seit dem Vertrag von Nizza das sogenannte Mitentscheidungsverfahren. Nach diesem Verfahren, bei dem Parlament und Rat gleichberechtigt sind, kann ohne ihre Zustimmung ein Rechtsakt, zum Beispiel Richtlinie oder Verordnung, nicht in Kraft treten. Sowohl Parlament als auch Rat können jeweils in zwei Lesungen Änderungen an einem von der Kommission vorgeschlagenen Gesetzestext einbringen. Sollten sie unterschiedliche Positionen vertreten, müssen sie sich in dritter Lesung in einem Vermittlungsausschuss einigen. Außerdem bilden das Europäische Parlament und der Rat gemeinsam die Haushaltsbehörde der EU, die über die Budgetierung des EU-Haushalts entscheidet. Zu den Aufgaben des EP gehört es auch, die Europäische Kommission und den Rat der Europäischen Union zu kontrollieren. Hierfür kann es Untersuchungsausschüsse einrichten und gegebenenfalls Klage beim Europäischen Gerichtshof erheben.
Die Europawahlen 2009 finden zwischen dem 4. und 7. Juni 2009 statt.
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Weitere Informationen zur Europawahl 2009
Die Europäische Kommission nimmt eine zentrale Stellung im politischen System der EU ein. Sie vertritt die Interessen der gesamten Union und ist ein von den Mitgliedstaaten unabhängiges Organ der EU. Jeder der derzeit 27 Mitgliedstaaten ist in der Kommission mit einem Kommissar vertreten. Die Kommissare dienen allein der Union, nicht ihrem jeweiligen Herkunftsland. Der Präsident und die Kommissare werden für fünf Jahre ernannt. Ihre Amtszeit entspricht der Legislaturperiode des Europäischen Parlaments.
Die Kommission übernimmt vor allem Aufgaben der Exekutive. Sie ist für die Einhaltung der Verträge verantwortlich und wirkt in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und unter Aufsicht des Europäischen Parlaments an der Umsetzung der Beschlüsse des Rates der EU und des Europäischen Parlaments mit. Darüber hinaus besitzt sie das alleinige Initiativrecht im Gesetzgebungsprozess, das heißt, nur sie kann Rechtsakte wie Richtlinien und Verordnungen vorschlagen.
Die Kommission ist dem Europäischen Parlament gegenüber Rechenschaft schuldig und kann von diesem mit Zweidrittelmehrheit zum Rücktritt gezwungen werden.
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Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist das höchste Gericht der Europäischen Union. Seine primäre Aufgabe ist es, die einheitliche Auslegung des europäischen Rechts zu gewährleisten. Er entscheidet in allen strittigen Rechtsfragen der europäischen Integration. Insbesondere befasst er sich mit Vertragsverletzungen. Der EuGH setzt sich zusammen aus 27 Richtern, je einem Richter pro Mitgliedstaat, und acht Generalanwälten, die von den nationalen Regierungen für die Dauer von sechs Jahren ernannt werden.
Zuletzt aktualisiert: 26-03-2020