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Aktuelle Qualitätsberichte für Pflegeeinrichtungen nicht vor November
ams-Interview mit Yvonne Ehmen, Expertin für Qualitätssicherung in der Abteilung Pflege im AOK-Bundesverband

08.04.20 (ams). Die Corona-Pandemie hat das Berichtswesen zur Qualitätsmessung in Pflegeheimen ausgehebelt. Die neuen Messinstrumente wurden erst Ende 2019 zur Qualitätsmessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen eingesetzt. Vorerst bis Ende September 2020 führen die Medizinischen Dienste keine Qualitätsregelprüfungen durch. Diese Maßnahme soll zum einen das Infektionsrisiko der besonders gefährdeten Gruppe älterer Menschen vermindern und andererseits die Einrichtungen von Zeitaufwand durch die Prüftätigkeit entlasten. Yvonne Ehmen, Expertin für Qualitätssicherung in der Abteilung Pflege im AOK-Bundesverband, erklärt im Interview mit dem AOK-Medienservice (ams), was dies für Pflegebedürftige bedeutet und mit welchen Maßnahmen die Pflegekassen Pflegeeinrichtungen, aber auch pflegende Angehörige, entlasten.
Frau Ehmen, wie gehen Pflegeheime mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 um?
Ehmen: Die Corona-Pandemie trifft Pflegeeinrichtungen besonders hart, da hier ältere bis hochbetagte Menschen unter einem Dach leben. Viele Bewohner haben zudem mehrere Vorerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck, was sie – neben ihrem Alter – zusätzlich zu Risikopatienten für das Virus macht. Pflegeeinrichtungen können seit März bis September gezielt Unterstützung bei den Pflegekassen beantragen. Diese Gelder können bei Pflegeengpässen vor Ort helfen, die zum Beispiel durch Personalausfälle entstehen. So lassen sich gleichzeitig auch Qualitätseinbußen vermeiden. Pflegeeinrichtungen können sich gegenseitig durch einen sogenannten "Personalpool" unterstützen, also untereinander Personal ausleihen. Personal, das sonst beispielsweise in momentan geschlossenen Tagespflegeeinrichtungen arbeitet, kann dann in ambulanten oder stationären Einrichtungen eingesetzt werden.
Die Qualitätsmessung und Veröffentlichung wurde erst einmal ausgesetzt. Was bedeutet das für die Qualitätsmessung in Pflegeheimen, wo die neuen Messinstrumente gerade erst eingeführt worden sind?
Ehmen: In Pflegeeinrichtungen finden bis Ende September 2020 keine Qualitätsprüfungen statt. Gleiches gilt auch für die Indikatorenerhebung zur Qualitätssicherung durch die Pflegeeinrichtungen selbst. Angehörige und Betroffene haben teils große Sorgen, dass dadurch die Qualität in Pflegeeinrichtungen leiden könnte. Falls es konkrete Annahmen gibt, dass es in einer Pflegeeinrichtung zu Missständen kommt, können aber sogenannte "Anlassprüfungen" durchgeführt werden. Wir gehen davon aus, dass ab November wieder aktuelle Qualitätsberichte für die Verbraucher zur Verfügung stehen werden.
Sie haben an den Instrumenten des neuen Qualitätssicherungsverfahrens mitgearbeitet. Machen Sie sich Sorgen, dass die Arbeit von mehreren Jahren erst einmal umsonst war?
Ehmen: Bei den Qualitätsprüfungen haben wir keine Bedenken, dass die Qualitätsmessung ab Oktober wieder reibungslos stattfinden kann. Beim Indikatoren-Erhebungsverfahren, das die Einrichtungen intern für sich selbst durchführen, könnte es eventuell neuen Schulungsbedarf geben, da die Einrichtungen dieses Instrument dann lange selbst nicht angewandt haben. Doch hierfür stehen Gelder bei der Pflegeversicherung bereit, die die Einrichtungen abrufen können. Wir haben soviel Vorarbeit geleistet, dass ein nahtloser Übergang möglich sein sollte.
Können Pflegeheime in so einer Ausnahmesituation überhaupt Qualität garantieren oder geht es nur um reine Versorgung?
Ehmen: Wir gehen aktuell nicht davon aus, dass es wirkliche Qualitätseinbußen in der Versorgung geben wird. Die tägliche Pflege in den Häusern ist eine Standardversorgung, die so auch weiter – wenn auch unter Wahrung besonderer Schutzmaßnahmen – beibehalten werden kann. Wir als Pflegekasse können auch intervenieren, wenn klar wird, dass eine Einrichtung durch einen Corona-Ausbruch ihren Qualitätsstandard nicht halten kann. Die Einrichtungen sind also nicht auf sich gestellt, sondern werden von uns so gut wie möglich unterstützt.
Wie kann in Pflegeheimen die Rückkehr zur Normalität organisiert werden? Wie können Pflegekassen unterstützen?
Ehmen: In den Pflegeeinrichtungen sollte die Digitalisierung vorangetrieben werden - ein Aspekt, bei dem auch die Pflegekassen wiederum unterstützen. Durch digitale Angebote können Pflegebedürftige unabhängig von Zeit und Ort den Kontakt zu ihren Angehörigen aufrechterhalten. Das ist gerade jetzt, wo keine Besuche in der Einrichtung möglich sind, eine riesige Hilfe und tut allen Menschen gut. Solche Lösungen wurden jetzt häufig erst durch die Corona-Pandemie angestoßen, sollten aber auch darüberhinaus realisierbar sein.
Wie gehen die Pflegedienste mit der Situation um?
Ehmen: Das Personal von Pflegediensten geht direkt in Haushalte hinein und hat dort nicht nur zu Pflegebedürftigen, sondern auch zu Angehörigen Kontakt. Pflegedienste können sich also weniger isolieren als dies einer stationären Einrichtung möglich ist, zum Beispiel durch einen Aufnahmestopp. Die AOK steht ihren Versicherten zur Seite, falls der bisherige Pflegedienst oder eine Vertretung die ambulante Versorgung nicht mehr sicherstellen kann. In diesem Falle kann auf Antrag der AOK eine andere Person für die Versorgung und Sicherstellung der Pflege beauftragt werden. Die AOK erstattet dann diese Aufwendungen abhängig vom Pflegegrad bis zur Höhe des jeweiligen Sachleistungsbetrages für die Dauer von bis zu drei Monaten.
Auch pflegende Angehörige stehen in der Coronakrise vor neuen, teils belastenden, Herausforderungen. Wie können Pflegekassen hier unterstützen?
Ehmen: Wir haben die telefonischen Unterstützungs- und Beratungsleistungen ausgebaut. Wer zum Beispiel als Angehöriger direkt an SARS-CoV-2 erkrankt ist und seinen Angehörigen nicht mehr pflegen kann, kann sich jederzeit an die Pflegekassen wenden, um rasch Unterstützung zu erhalten. In einer akut auftretenden Pflegesituation können Angehörige für bis zu zehn Arbeitstage Pflegeunterstützungsgeld bei der Krankenkasse des Pflegebedürftigen beantragen. Die AOK bietet verschiedene Unterstützungsangebote an und die Pflegeberaterinnen und -berater stehen allen AOK-Versicherten telefonisch zur Seite.