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Klimawandel wird zu einem Gesundheitsrisiko

ams-Interview mit Alexandra Schneider, Klima-Expertin und Epidemiologin

Foto: Alexandra Schneider, Klimaforscherin und Epidemiologin

Alexandra Schneider

11.06.21 (ams). Stress, heftige allergische Reaktionen, mehr Hitzetote und neue Viruserkrankungen – der Klimawandel wirkt sich auch auf unsere Gesundheit aus, erklärt Alexandra Schneider, Expertin am Institut für Epidemiologie/Helmholtz Zentrum München, im Interview mit dem AOK-Medienservice (ams). Schneider ist Mit-Herausgeberin des Reports, den das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) und der AOK- Bundesverband am 8. Juni veröffentlicht haben.

Wo spüren wir den Klimawandel in Deutschland ganz konkret?

Schneider: Wir erleben immer häufiger extreme Wetterereignisse, wie orkanartige Windböen, Starkregen, schwere Gewitter, intensive Hitzeperioden, anhaltende Dürren oder Waldbrände. Aber es gibt auch schleichende Veränderungen hierzulande, wie weniger Frost und Schnee im Winter. Auch abrupte Temperaturschwankungen nehmen zu und werden intensiver.

Wie wirkt sich das auf unsere Gesundheit aus?

Schneider: Auf höhere Durchschnittstemperaturen kann sich der Mensch einstellen. Extreme Wetterereignisse können jedoch die Atmung, das Herz-Kreislaufsystem und die Psyche beeinflussen. So machen beispielsweise Hitzewellen vor allem Älteren und Menschen mit Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen zu schaffen. Der „Lancet Countdown“, ein internationales Forschungsprojekt, zählte für 2018 insgesamt 20.200 hitzebedingte Todesfälle von über 65-Jährigen in Deutschland. Damit liegen wir weltweit auf Platz drei, hinter China mit 62.000 und Indien mit 31.000 Todesfällen. Hitzewellen werden in Zentraleuropa voraussichtlich noch häufiger und intensiver auftreten. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts sagen Forscher jährlich fünf zusätzliche Hitzewellen in Norddeutschland und bis zu 30 zusätzliche Hitzewellen in Süddeutschland vorher.

Müssen wir in Deutschland auf absehbare Zeit mit tropischen Viruserkrankungen rechnen?

Schneider: Die Gefahr steigt jedenfalls. Wegen der zunehmenden Erwärmung können sich die Überträger von Infektionskrankheiten immer weiter ausbreiten. Inzwischen erkranken Menschen auch in Deutschland an Dengue-Fieber, Zika oder infizieren sich mit dem West-Nil-Virus.

Und Allergien?

Schneider: Auch die werden durch die steigenden Temperaturen beeinflusst. Die Pollenflugsaison dauert länger und die Pollenmenge steigt. Das wiederum verstärkt Asthma und allergische Reaktionen.

Wenn die Temperaturen steigen, nehmen dann Grippewellen ab?

Schneider: Grippeviren sind saisonale Viren und werden bei sommerlichen Temperaturen inaktiv, sodass sich weniger Menschen anstecken. Da der Klimawandel aber nicht nur zu höheren Temperaturen führt, sondern auch zu stärkeren und kurzfristigeren Temperaturschwankungen, wird es nach wie vor noch Phasen geben, in denen die Temperatur fällt und die Viren weiterhin übertragen werden. Bei den großen Grippewellen und Pandemien spielen jedoch andere Faktoren wie unzureichende Hygiene, Bevölkerungsdichte und Reisegeschehen eine weit größere Rolle.

Stichwort Pandemie – wie reagieren Corona-Viren darauf?

Schneider: Beim Sars-Cov-2 ist die Temperaturabhängigkeit nicht so stark. Hier ist die Evidenz aber noch nicht hundertprozentig klar. Wir versuchen derzeit, die Ergebnisse von Studien weltweit zusammenzutragen.

Welche Rolle spielt die Luftverschmutzung?

Schneider: Luftverschmutzung und Klimawandel sind eng miteinander verknüpft. Kohlendioxid gilt als Hauptursache für den globalen Temperaturanstieg und wärmeres Klima beeinflusst umgekehrt die Luftqualität. Bei vielen regulatorischen Abläufen im Körper gibt es Parallelen zwischen den Einflüssen der beiden Umweltfaktoren. Während des Hitzesommers 2003 gab es klare Hinweise darauf, dass die erhöhte Sterblichkeit zumindest teilweise auf schlechte Luftqualität zurückzuführen war. Im Nachgang dieses Sommers wurde in dem europaweiten Projekt „EuroHEAT“ die synergistische Wirkung – das meint einen gemeinsamen Effekt, der größer ist als die Summe der Einzeleffekte – von Hitzewellen und Luftschadstoffen auf die tägliche Sterblichkeit in neun europäischen Städten untersucht. Ergebnis: Das Sterberisiko, besonders für ältere Menschen, wurde durch Hitze und durch gleichzeitig erhöhte Ozon- sowie Feinstaubkonzentration verstärkt.

Welche Schlussfolgerungen, Ratschläge oder Forderungen leiten Sie daraus ab?

Schneider: Die vielen direkten und indirekten gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels verlangen ein umfassendes und sektorenübergreifendes Konzept. Darin sollten Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung auf breiter gesellschaftlicher Ebene sowie auf der Verhaltensebene jedes Einzelnen integriert werden. Konkret meine ich beispielsweise zu radeln, zu laufen oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen statt Auto zu fahren. Das verschmutzt die Luft weniger und zugleich bewegt man sich so mehr, was ja gesund ist. Verschiedene Studien haben bereits gezeigt, dass sich der Wechsel vom Autositz auf den Sattel lohnt, weil Bewegung gut für die Lungenfunktion oder das Herzkreislauf-System ist. Werden also öffentlicher Nahverkehr und Radwege ausgebaut, wird zugleich auch der Einzelne in seinem Verhalten unterstützt.


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