Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. Änderungsgesetz)

Auch für Krankenkassen und deren Verbände gilt seit dem 27. Juni das allgemeine Kartellverbot. Damit unterliegen insbesondere Krankenkassen-Fusionen der Kontrolle durch das Bundeskartellamt. Dieses muss sich vor seiner Entscheidung aber mit den für die Kassen zuständigen Aufsichtsbehörden abstimmen ("ins Benehmen setzen"). Außerdem sollen bei Streitigkeiten die Sozialgerichte und nicht wie in anderen Kartellsachen die Zivilgerichte das letzte Wort haben. Auf diesen Kompromiss hat sich der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat am 5. Juni 2013 verständigt. Nur einen Tag später stimmte das Parlament dem Kompromiss zu, am 7. Juni die Länderkammer (Bundesrats-Drucksache 475/13). Demnach darf das Kartellamt künftig Fusionen von gesetzlichen Krankenkassen daraufhin überprüfen, ob sie ihre Marktmacht missbrauchen, muss allerdings die Landesversicherungsämter beziehungsweise das Bundesversicherungsamt daran beteiligen. Die Krankenkassen können sich gegen entsprechende Entscheidungen der Kartellbehörde vor den Sozialgerichten wehren.

Damit schlägt der Vermittlungsausschuss eine Ausnahme vom sonst üblichen Zivilrechtsweg in Kartellstreitigkeiten vor und verzichtet auf die Anknüpfung an das für privatwirtschaftliche Unternehmen geltende und europarechtlich dominierte Kartellrecht. Der AOK-Bundesverband hatte sich darüberhinaus für die Entwicklung eines sozialrechtsspezifischen Gesundheitswettbewerbsrechts ausgesprochen, das den Besonderheiten der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung gerecht wird. Dieses Anliegen hat der Vermittlungsausschuss nicht aufgegriffen.

Der Bundesrat hatte bereits am 23. November 2012 (Bundesrats-Drucksache 641/12(B)) das Gesetz zur achten Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-Novelle) abgelehnt und den Vermittlungsausschuss angerufen. Der Vermittlungsausschuss hatte seitdem mehrmals die Beratung über das Gesetz vertagt; Auch der GKV-Spitzenverband lehnt die Ausweitung des Kartellrechts ab, weil damit der Versorgungsauftrag der Kassen behindert und das Wettbewerbsrecht über das Patientenwohl gestellt würden.

Kartellverbot ab dem 1. Januar 2013 auch für gesetzliche Krankenkassen

Nach der vom Bundestag am 18. Oktober 2012 in zweiter und dritter Lesung beschlossenen 8. GWB-Novelle (Bundesrats-Drucksache 641/12) sollte das allgemeine Kartellverbot ab dem 1. Januar 2013 auch für gesetzliche Krankenkassen und ihre Verbände gelten. Damit unterliegen künftig insbesondere Fusionen von Krankenkassen der Kontrolle durch das Bundeskartellamt. Diese Regelung wird ausdrücklich auch ins Fünfte Sozialgesetzbuch aufgenommen (Paragrafen 4 und 172a SGB V). Ausgenommen bleiben nur Verträge und Vereinbarungen mit Leistungserbringern, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder ihre Verbände gesetzlich verpflichtet sind, sowie Beschlüsse, Empfehlungen, Richtlinien oder sonstige Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses auf gesetzlicher Basis.

Nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag am 15. Juni 2012 hatte die CDU/CSU-Fraktion in den Ausschussberatungen vorgeschlagen, die Kartellbehörden darauf zu verpflichten, den gesetzlichen Versorgungsauftrag der Krankenkassen (unter anderem Paragraf 4 Abs. 3 SGB V) immer zu berücksichtigen. Damit soll gesichert werden, dass die Kassen bei Fragen der Versorgung weiterhin wie gewohnt zusammenarbeiten können und das Kartellamt nur rein unternehmerische Kassentätigkeiten wie die Erhebung von Zusatzbeiträgen unter die Lupe nehmen darf.

Der Bundesrat hatte sich in einer Stellungnahme am 11. Mai 2012 dagegen ausgesprochen, wesentliche Bestimmungen des Kartellrechts auf Krankenkassen zu übertragen. Krankenkassen seien keine Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne, sondern Teil der mittelbaren Landes- beziehungsweise Bundesverwaltung. Ihr Verhalten sollte daher weiterhin nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben und allein durch die zuständigen Rechtsaufsichtsbehörden beurteilt werden.

Das Bundeskabinett hatte den Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums am 28. März 2012 beschlossen (Bundestags-Drucksache 17/9852). Am 7. November 2011 hatte das Bundeswirtschaftsministerium einen Referentenentwurf  vorgelegt, der am 2. März 2012 durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ergänzt wurde.


Materialien zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Folgen einer umfassenden "entsprechenden" Anwendung des Kartellverbots auf die Tätigkeit gesetzlicher Krankenkassen

Folgen einer umfassenden "entsprechenden" Anwendung des Kartellverbots auf die Tätigkeit gesetzlicher Krankenkassen
Das Gutachten von Prof. Dr. Jörg Fritzsche, Universität Regensburg, im Auftrag des AOK-Bundesverbandes, Stand 21.08.12

"Was wäre, wenn ...?"

"Was wäre, wenn ...?"
Kurzfassung des Gutachtens von Prof. Dr. Jörg Fritzsche

Stellungnahme des AOK-Bundesverbandes

Stellungnahme des AOK-Bundesverbandes
zum Entwurf der achten GWB-Novelle

Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes

Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes
zum Entwurf der achten GWB-Novelle


AOK und GKV-Spitzenverband befürchten, dass eine Gleichsetzung der am Gemeinwohl orientierten Krankenkassen mit privatwirtschaftlichen und gewinnorientierten Unternehmen eine Unterordnung der Patienteninteressen unter die des Wettbewerbs bedeutet. Der Aufsichtsrat des Spitzenverbandes hat seine Kritik an der Neuregelung in einem Positionspapier zum Ausdruck gebracht. Der AOK-Bundesverband warnt zudem, dass Deutschland über kurz oder lang die nationale Regelungskompetenz für das Gesundheitswesen an die EU-Kommission verlieren könnte. In der Presseinfo von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler zum Kabinettsentwurf kommt das Thema GKV mit keinem Wort vor.

In der Anhörung des BMG zum Referentenentwurf am 7. März 2012 lehnte der AOK-Bundesverband die geplanten Änderungen ab. Das Vorhaben gefährde dauerhaft den politischen Handlungsspielraum Deutschlands für die Ausgestaltung des Krankenversicherungswesens. Die uneingeschränkte Übernahme der Vorgaben zu Kartellverbot und Missbrauchaufsicht rücke die dem Sozialstaatsprinzip verpflichteten gesetzlichen Krankenkassen in die unmittelbare Nähe gewinnorientierter Wirtschaftsunternehmen. Dagegen fallen die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht unter den europäischen Unternehmensbegriff und unterliegen daher auch nicht dem EU-Wettbewerbsrecht. Der EuGH begründet dies damit, dass die Kassen nach Maßgabe des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) nicht wettbewerblich und gewinnorientiert sind, sondern in Erfüllung hoheitlicher Aufgabe handeln.

Eine Ausweitung des Kartellrechts hätte aus Sicht der AOK schwerwiegende Konsequenzen: Die nationalstaatliche Regelungskompetenz für diesen Bereich des Gesundheitswesens ginge unwiderruflich auf die Europäische Kommission über. Der besondere Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen könnte nicht mehr berücksichtigt werden.

Das geplante Verbot der engen Zusammenarbeit der Krankenkassen untereinander widerspricht nach Auffassung des AOK-Bundesverbandes den Zielvorgaben des Sozialgesetzbuches, denen zufolge Krankenkassen im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit eng zusammenarbeiten sollen. Außerdem fürchtet die AOK, dass Kostensteuerungsmechanismen aufgrund von Kooperationen und verbandsmäßiger Koordination, wie zum Beispiel die erfolgreichen Arzneimittelrabattverträge, durch die geplanten kartellrechtlichen Änderungen auf der Kippe stehen. Nicht zuletzt würde durch die Ausweitung der Zuständigkeiten des Bundeskartellamtes eine zusätzliche Behörde mit der Krankenkassen-Aufsicht beauftragt - mit dem Ergebnis, dass neue Bürokratie aufgebaut wird, ohne dass den Krankenkassen angemessene wettbewerbliche Handlungsspielräume eröffnet werden.

Wettbewerbsrecht in der GKV:

vor 2000:

  • Natur der Rechtsbeziehungen von Krankenkassen zu Leistungserbringern und Dritten unklar.
  • Die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts ist umstritten (insbesondere die Festbetragsfestsetzung; hier erfolgte 2004 die rechtliche Klarstellung durch den EuGH).

GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000:

  • Neufassung des Paragrafen 69 SGB V: Die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu Leistungserbringern sind öffentlich-rechtlicher Natur.
  • Das Wettbewerbsrecht (GWB und UWG) ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr anwendbar.

GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) 2007:

  • Modifikation des Paragrafen 69 SGB V: Die Missbrauchsaufsicht (Paragrafen 19-21 GWB) wird im Verhältnis zu den Leistungserbringern für entsprechend anwendbar erklärt.
  • Für das Vergaberecht sind die Sozialgerichte zuständig.

Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) 2011:

  • Erneute Modifikation des Paragrafen 69 SGB V: Neben bereits geltenden Marktmissbrauchsverboten wird für das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern zusätzlich das Kartellverbot nach dem GWB für entsprechend anwendbar erklärt. Ausgenommen sind Verträge und Vereinbarungen sowie Beschlüsse, Empfehlungen und Richtlinien, zu denen Krankenkassen und deren Verbänden sowie der Gemeinsame Bundesausschuss gesetzlich verpflichtet sind. 
  • Für das Vergaberecht und andere wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten sind seit 1. Januar 2011 nicht mehr die Sozialgerichte, sondern die Zivilgerichte zuständig.

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