"So wenig wie möglich und so gezielt wie nötig"

Antibiotika-Resistenzen

Apothekerin an Arzneimittel-Schublade

11.06.15 (ams). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt: Antibiotika verlieren durch ihren massenhaften Einsatz immer stärker an Wirkung. Schon ein Zehntel gesundheitsgefährdender Keime gilt inzwischen als resistent gegen die Medikamente. Beim G7-Gipfel in Deutschland haben sich deshalb die beteiligten Staats- und Regierungschefs für eine weltweite Bekämpfung  von Antibiotikaresistenzen ausgesprochen. Helmut Schröder vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) begrüßt diese Initiative. Der stellvertretende Geschäftsführer des Instituts kritisiert jedoch, dass viel zu viel Zeit ungenutzt verstrichen ist. Das WIdO hat bereits 2003 eine Studie zum übermäßigen Antibiotika-Einsatz in Deutschland veröffentlicht.

"So wenig wie nötig und so gezielt wie möglich" - mit diesem Appell für einen zurückhaltenden Einsatz von Antibiotika hat das WIdO im Jahr 2003 gemeinsam mit Arzneimittelexperten der Universität Freiburg die Diskussion in Deutschland mit angestoßen. Nur so könne verhindert werden, "dass die hohe Wirksamkeit eines antibiotischen Wirkstoffs für die Zukunft leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird". Die Warnungen kamen nicht von ungefähr. Inzwischen zählen die Experten die weltweite Zunahme von antibiotika-resistenten Keimen zu den größten Gefahren für die menschliche Gesundheit.

"2050 werden weltweit zehn Millionen Menschen an Infektionen durch multiresistente Erreger sterben, davon 390.000 in Europa", heißt es in einer aktuellen Studie der Berliner Universitätsklinik Charité. Schröder sieht durch die neuen Daten die WIdO-Warnungen klar bestätigt: "Danach werden 85 Prozent der Antibiotika nicht in Krankenhäusern verschrieben, sondern im ambulanten ärztlichen Bereich. Leider werden auch immer häufiger Reserveantibiotika verordnet. Das ist eines der größten Probleme."

Jede dritte Antibiotika-Verschreibung nicht notwendig

Laut Charité-Analyse wird hierzulande jährlich einem Drittel aller Krankenversicherten ein Antibiotikum verschrieben. Die Zahl basiert auf den Arzneimittelmark-Analysen des WIdO. Die Autorin der Studie, Dr. Elisabeth Meyer, geht davon aus, dass etwa 30 Prozent aller Antibiotika in der Humanmedizin nicht notwendig sind. Bei den Verschreibungen gebe es zudem große regionale Unterschiede: So werden in Brandenburg, Sachsen und Bayern weniger Antibiotika verordnet als in anderen Bundesländern. 2011 hat das WIdO eine Analyse veröffentlicht, wonach fast 70 Prozent aller bei der AOK versicherten Kindern unter fünf Jahren eine Antibiotikatherapie verschrieben wird. Sie dauerte im Durchschnitt rund neun Tage. Auch etwa 30 Prozent aller erwachsenen Versicherten bekamen im Schnitt bis zu 15 Tagesdosen Antibiotika.

Die Ursachen-Analyse des WIdO hat nichts an Aussagekraft eingebüßt. Danach werden in Deutschland Antibiotika von vielen Ärzten noch immer nicht leitliniengerecht verordnet. Schröder: "Obwohl sie nur gegen Bakterien wirken, werden sie vielfach noch bei von Viren verursachten Erkältungen oder Mittelohrentzündungen verschrieben. Falsche Auswahl und unsachgemäße Anwendung eines Antibiotikums tragen zur Ausbreitung von Resistenzen bei."

WIdO liefert aktuelle Zahlen

Das WIdO hat die Gefahr zunehmender Resistenzen nach der Auftakt-Studie 2003 immer wieder thematisiert und Lösungswege aufgezeigt. So sind die Arzneimittelexperten des Instituts etwa an den regelmäßigen Berichten zu Antibiotika-Resistenz und -Verbrauch (GERMAP) beteiligt, die das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, die Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie und die Uniklinik Freiburg herausgeben. Über Fachmedien und die AOK-Beratungsapotheker informiert das WIdO die Ärzte fortlaufend über Antibiotikaverbrauch und Resistenzentwicklung. Auch im jährlichen Arzneiverordnungs-Report werden aktuelle Zahlen veröffentlicht.

Schröder begrüßt, dass jetzt auf nationaler und internationaler Ebene Bewegung in die Sache kommt: "Dass die Bundeskanzlerin das Thema auf die Tagesordnung des G7-Gipfels gesetzt hat, macht die Dringlichkeit deutlich. Bleibt zu hoffen, dass die bereits 2008 von der Bundesregierung vorgelegten Planungen für eine Antibiotika-Strategie nunmehr auch Ergebnisse zeitigen."

Die Bundesregierung geht von 400.000 bis 600.000 Infektionen mit Keimen bei einer medizinischen Behandlung jährlich in Deutschland aus. Bei der Zahl der dadurch verursachten Todesfälle streiten sich die Experten jedoch. Während die Bundesregierung von bis zu 15.000 ausgeht, spricht das Nationale Referenzzentrum (NRZ) an der Berliner Charité von maximal 6.000 Todesfällen pro Jahr. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene schätzt die Zahl der jährlichen Todesfälle sogar auf bis zu 30.000. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft wiederum spricht von 2.000 bis 4.500 Patienten, die durch Krankenhauskeime sterben.

"Postantibiotisches Zeitalter"

Die WHO spricht bereits vom "postantibiotischen Zeitalter". Die Mitgliedstaaten haben sich am Pfingstmontag (25. Mai) nach langen Debatten auf ein globales Aktionsprogramm gegen Antibiotika-Resistenzen verständigt. Mitte Mai hat die Bundesregierung die "Deutsche Antibiotika-Resistenz-Strategie" (DART) auf den Weg gebracht. Zur Strategie gehören neue Meldepflichten, eine stärkere Überwachung und schärfere Hygieneregeln für Kliniken. Die EU-Kommission hat  2011 einen Aktionsplan zur Abwehr der steigenden Gefahr der Antibiotikaresistenz verabschiedet.

Die G7-Staaten wollen das Problem der Antibiotika-Resistenzen auf zwei Wegen angehen, heißt es in der entsprechenden Erklärung: "Durch die Erhaltung der Wirksamkeit bestehender und künftiger Antibiotika und durch Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika, Impfstoffe, von Behandlungsalternativen und Schnelltests.“ Um eine "fachgerechte Verwendung von Antibiotika" zu fördern, sollen Antibiotika weltweit verschreibungspflichtig werden.


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