Wenig Durchschlagskraft - Knackpunkte nicht vom Tisch
GKV-Versorgungsstärkungsgesetz
11.06.15 (ams). Trotz guter Ansätze bleibt die Bundesregierung mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) hinter den Erwartungen des eigenen Koalitionsvertrages zurück. "Das Gesetz wird kaum erfolgreicher sein als seine Vorgänger", prognostiziert der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, anlässlich der Verabschiedung des GKV-VSG im Deutschen Bundestag. Auch die letzten Knackpunkte blieben akut: ein zentralistisch strukturierter Innovationsfonds, die faktische Aufhebung der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Arzneimitteln sowie die wenig durchschlagskräftige Regelung zum Aufkauf von Arztsitzen. "Das GKV-VSG wird die Ausgaben der GKV erneut erhöhen, ohne die Versorgung der Patienten spürbar zu verbessern", so Graalmanns ernüchternde Bilanz.
Zum dritten Mal seit 2007 unternimmt eine Bundesregierung den Versuch, die flächendeckende ambulante Versorgung in Deutschland auf hohem Niveau zu sichern. Weder an der Überversorgung in Ballungszentren noch an den Problemen der Nachbesetzung insbesondere bei Hausärzten auf dem Land hat sich bisher Entscheidendes verbessert. Und wenig spricht dafür, dass sich daran etwas ändert.
Ursprünglich wollte die Bundesregierung die Vergabe von Arztsitzen in Deutschland umfassend neu regeln. Dazu gehörte, dass Nachbesetzungsanträge in überversorgten Regionen künftig abgelehnt werden sollen. Der Plan war, die bisherige Kann-Bestimmung vollends in eine Sollbestimmung ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent umzuwandeln. Diese Regelung wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Stück für Stück geschliffen. Die Sollbestimmung greift jetzt erst ab einem Versorgungsgrad von 140 Prozent, gepaart mit einer ganzen Reihe zusätzlicher Ausnahmen. "Praktisch ändert sich also nichts", bedauert Graalmann. "Das ist vor allem ein Rückschlag für Patienten, die sich Hoffnung auf eine bessere ärztliche Versorgung gemacht haben."
Innovationsfonds verfestigt sektorale Strukturen
Mit 300 Millionen Euro jährlich will die Bundesregierung künftig innovative, sektorenübergreifende Versorgungsprojekte fördern. 75 Millionen Euro davon sollen in die Versorgungsforschung fließen. Beides wird gespeist aus einem Innovationsfonds, dessen Mittel je zur Hälfte aus dem Gesundheitsfonds und von den Krankenkassen kommen sollen. Bei der Beantragung von Fördermitteln ist die Beteiligung der Krankenkassen jedoch nur "in der Regel" vorgesehen. Graalmann bewertet das kritisch: "Wenn die Politik gewährleisten will, dass nicht die Umsatzinteressen von Anbietern, sondern Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsinteressen der Patienten im Vordergrund stehen, müssen Krankenkassen immer zu den beteiligten Antragsstellern gehören."
Auch das vorgesehene zentrale Vergabeverfahren schafft aus Sicht der AOK mehr Probleme, als es löst. Die Entscheidung über die Verteilung der Fördermittel trifft nämlich ein neu einzurichtender Innovationsausschuss, angesiedelt beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). "Hier werden Entscheidungen auf eine zentrale Institution verlagert, deren Entscheidungsträger gerade das repräsentieren, was überwunden werden soll, nämlich das nach Sektoren unterteilte Gesundheitswesen. Die eigentliche Verantwortung tragen aber die handelnden Akteure vor Ort, nämlich Krankenkassen und ihre Vertragspartner", moniert Graalmann das Ungleichgewicht im Gesetz.
Allerdings sieht der AOK-Bundesverband hier auch positive Aspekte. Zum einen stelle das Gesetz klar, dass erfolgreiche Projekte nicht nur in die Regelversorgung übernommen werden müssten, sondern selektivvertragliche Regelungen möglich seien, so Graalmann.
Zum anderen sei die Begrenzung der Finanzierung des Innovationsfonds bis zum Jahr 2019 oder die Absicht, nicht abgerufene Mittel in den Gesundheitsfonds beziehungsweise an die Krankenkassen zurückzuführen. Darüber hinaus würden verbindliche Vorgaben für die wissenschaftliche Auswertung gemacht. So muss zum 31. März 2019 ein Zwischenbericht sowie ein Endbericht zum 31.März 2021 vorliegen.
Wirtschaftlichkeit: Ärzte nicht aus Verantwortung entlassen
Nicht minder problematisch ist aus AOK-Sicht eine entscheidende Änderung bei Arznei- und Heilmitteln. Die Wirtschaftlichkeitsprüfungen für verordnete Leistungen werden in ihrer jetzigen Form aufgehoben. Künftig sollen Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen (KV) regionale Vereinbarungen aushandeln. Sollte es zu keiner Einigung kommen, entscheidet eine Schiedsstelle. Die Vertragspartner sollen so den jeweiligen regionalen Besonderheiten Rechnung tragen können. Die gesetzlich zwingende Vereinbarung von Richtgrößenvolumina auf Bundesebene entfällt. Dort vereinbaren die Vertragspartner der Selbstverwaltung künftig nur noch einheitliche Mindestanforderungen für das Prüfungswesen. Für den Übergang werden die bisherigen Regelungen als regionale Vertragsinhalte fortgeführt.
Graalmann und der AOK-Bundesverband warnen vor einer Abschaffung der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch die Hintertür. "Die KVen haben gegenüber der Wirtschaftlichkeitsprüfung und möglichen Strafen bei Verstößen eher eine ablehnende Haltung eingenommen", verweist der Verbandschef auf bisherige Erfahrungen.
Dass sich durch die Neuregelung daran grundsätzlich etwas ändert, bezweifelt er. Umso wichtiger sei es, die bundeseinheitlichen Mindeststandards für den regionalen Verhandlungsrahmen so zu konkretisieren, dass auch künftig das Wirtschaftlichkeitsgebot eingehalten und gegebenenfalls sanktioniert werde. "Wir dürfen die Vertragsärzte nicht aus ihrer Verantwortung für die verordneten Leistungen entlassen", bekräftigt Graalmann.