Digitalisierungs-Rückstand in Kliniken auch strukturell bedingt

Krankenhaus-Report 2019: "Das digitale Krankenhaus"

Foto: Operation

18.04.19 (ams). Die Krankenhäuser in Deutschland haben erheblichen Nachholbedarf bei der Digitalisierung und beim Technologieeinsatz, wie der neue Krankenhaus-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt. So erreichten die deutschen Krankenhäuser 2017 in einem internationalen Vergleich auf einer Skala von 0 bis 7 im Durchschnitt nur den Wert 2,3 und lagen damit unter dem EU-Durchschnitt von 3,6. Kleine Krankenhäuser unter 200 Betten erreichten lediglich 1,3. Aber auch die Krankenhäuser mit über 500 Betten erreichten mit 3,4 nur knapp den europäischen Durchschnitt. Für den AOK-Bundesverband ist die Digitalisierung in deutschen Kliniken daher nicht nur eine rein technische, sondern auch eine strukturelle Frage.

"Wie schon bei der Versorgungsqualität zeigt sich auch beim digitalen Wandel, dass vor allem kleine Häuser nicht Schritt halten können", konstatiert der Vorstandsvorsitzende Martin Litsch anlässlich der Veröffentlichung des Krankenhaus-Reports 2019 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Besonders ausgeprägt ist der Digitalisierungsrückstand laut Report bei den Häusern mit weniger als 200 Betten. Digitalisierung und Zentralisierung gehörten deshalb zusammen, so Litsch.

Im Report "Das digitale Krankenhaus" gehen verschiedene Autoren der Frage nach, wie die Digitalisierung die stationäre Gesundheitsversorgung verändern wird. Zur Einschätzung des Digitalisierungsgrades deutscher Kliniken nutzen die Autoren des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen von der Technischen Universität (TU) Berlin das "Electronic Medical Record Adoption Model" (EMRAM). Danach können Krankenhäuser schrittweise eine Stufe von 0 bis 7 erreichen. Stufe 0 bedeutet, dass die Klinik kaum digital arbeitet, während Stufe 7 ein papierloses Arbeiten dokumentiert. Für die Studie wurden die Daten von 167 deutschen Krankenhäusern ausgewertet, die derzeit nach dem EMRAM-Modell zertifiziert sind. Danach erreichten 2017 knapp 40 Prozent der untersuchten Einrichtungen nur die Stufe 0. Lediglich zwei Krankenhäuser der Maximalversorgung erfüllten die Anforderungen der Stufe 6. Kein einziges der zertifizierten Häuser in Deutschland schaffte die Stufe 7.

Deutschland schneidet eher unterdurchschnittlich ab

Deutschland kommt mit einem Wert von 2,3 noch nicht einmal auf zwei Drittel des EU-Durchschnitts von 3,6. Länder; die Niederlande (4,8), Dänemark (5,4) oder auch die USA (5,3) erreichen mehr als doppelt so hohe Werte. "Der Digitalisierungsrückstand in deutschen Krankenhäusern ist mehr als deutlich, auch wenn für die Studie nur die zertifizierten Krankenhäuser ausgewertet wurden", bilanziert WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. "Für die unzureichende Digitalisierung gibt es viele Ursachen. Dazu gehört neben der mangelhaften Investitionskostenfinanzierung durch die Bundesländer auch eine mangelnde Innovationskultur in den Häusern. Vollzieht man die aufgrund von Überkapazitäten und Qualitätsdefiziten zweifellos notwendige Strukturbereinigung, hätte dies auch positive Konsequenzen für den notwendigen Fortschritt bei der Digitalisierung. Digitale Systeme könnten dann deutlich leichter Einzug halten."

Einfach nur mehr Geld in die bestehenden Strukturen zu schütten, ist aus Sicht des AOK Bundesverbandes deshalb der falsche Weg. Überkapazitäten, Qualitätsdefizite und Fachkräftemangel ließen sich dadurch nicht abbauen. "So zeigt der internationale Vergleich, dass in stärker zentralisierten Klinikstrukturen der Digitalisierungsfortschritt deutlich größer ausfällt", erklärt Verbandschef Martin Litsch. Umso erfreulicher sei es deshalb, dass die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die Notwendigkeit eines Strukturwandels endlich erkannt habe.

Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen

Weitere Analysen im Krankenhaus-Report 2019 stützen diese Erkenntnisse. So untersucht der IT-Report Gesundheitswesen der Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen (IGW) an der Hochschule Osnabrück seit 16 Jahren den Stand der Digitalisierung und des Technologieeinsatzes in deutschen Krankenhäusern. Auf Basis der Daten des Jahres 2017 von 205 Krankenhäusern attestiert ihnen der IT-Report ein beträchtliches Verbesserungspotenzial. So liegt die maximal erreichbare Punktzahl bei diesem Verfahren bei 100 Punkten, doch die Kliniken kamen bei der Gesamtauswertung aller betrachteten Prozesse nur auf durchschnittlich 55 Punkte. Dabei ist der Aufnahmeprozess mit durchschnittlich 44 Punkten am schwächsten digitalisiert. Auf vergleichsweise starke durchschnittlich 65 Punkte kommt der Prozess der OP-Vorbereitung. Neben diesen Prozessen beleuchtet die IGW auch die Innovationsfähigkeit der Häuser sowie die Professionalisierung des Informationsmanagements. Die Ergebnisse hier sind deutlich unterdurchschnittlich: Beispielsweise beim Score Innovationskultur erreichen die betrachteten Häuser im Mittel 44 Punkte, bei der Innovationsorientierung der IT-Leitung 42.

"Dabei bietet eine stärkere Digitalisierung viele Vorteile. Durch die Veränderung interner Abläufe und institutionenübergreifender Prozesse lässt sich beispielsweise die Versorgungskette wirtschaftlicher gestalten. Zudem werden interne und externe Vernetzungen erleichtert und Informationsströme beschleunigt, was die Qualität der Patientenversorgung verbessert", so Jürgen Klauber. Als international beachtetes Musterbeispiel des digitalen Wandels gelte Dänemark, das diesen Prozess seit 1990 auf den Weg gebracht hat.

In Deutschland hat das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) früh einen solchen digitalen Transformationsprozess gestartet. Der Krankenhaus-Report 2019 dokumentiert, wie das UKE etwa einen geschlossenen digitalen Medikationsprozess umgesetzt hat. Übertragungs- und Kommunikationsfehler oder Abgabefehler am Bett würden dadurch von der Verordnung bis zur Aushändigung von Medikamenten nahezu ausgeschlossen und somit die Patientensicherheit erhöht, so die Autoren aus dem UKE. Zugleich habe sich der beschrittene Pfad einer radikalen Digitalisierung und Prozessorientierung aber auch positiv auf die Leistungsfähigkeit des Krankenhauses ausgewirkt und sich wirtschaftlich ausgezahlt.

AOK in der digitalen Offensive

Um die Vorteile der Digitalisierung für die Patientinnen und Patienten spürbar nach vorne zu bringen, entwickelt die AOK das Digitale Gesundheitsnetzwerk, eine Plattform zum Austausch von Gesundheitsdaten zwischen Patienten, niedergelassenen Ärzten, Kliniken und weiteren Akteuren im Gesundheitswesen. Es beinhaltet auch eine digitale Patientenakte für die AOK-Versicherten. Mit zwei regionalen Piloten in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist das Digitale Gesundheitsnetzwerk bereits gestartet. In Berlin arbeiten die Gesundheitskasse mit der drittgrößten privaten Klinikgruppe Sana Kliniken AG und mit Deutschlands größtem kommunalen Krankenhauskonzern Vivantes zusammen.


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