EU-Regeln lassen wenig nationalen Gestaltungsspielraum
Referentenentwurf: Medizinprodukte-Anpassungsgesetz-EU (MPAnpG-EU)

18.09.19 (ams). Ab Mai 2020 wird die über fünf Jahre ausgehandelte EU-Verordnung über Medizinprodukte erste konkrete Auswirkungen haben. Zusammen mit der Verordnung über In-Vitro Diagnostika war sie Ende Mai 2017 in Kraft getreten. Nun läuft die zweijährige Übergangsfrist aus. Für die In-Vitro-Diagnostika gilt diese Übergangsfrist noch bis 2022. Da beide Verordnungen unmittelbar in den EU-Ländern gelten, müssen die nationalen Gesetze angepasst werden. Die Umsetzung an sich ist wenig umstritten, weil Medizinprodukteskandale Lücken in den EU-Regelungen notwendig machten.
Allerdings hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei der EU eine Verlängerung der Übergangsfrist um weitere vier Jahre bis 2024 gefordert, weil die Zertifizierungsstellen ("Benannte Stellen") noch nicht über die notwendigen Kapazitäten verfügten. "Nur für eine kleine Gruppe von Medizinprodukten mit niedrigem Risiko, die bisher keine Zertifizierung benötigten, könne eine Fristverlängerung sachgerecht sein", erwidert der AOK-Vertreter bei der Europäischen Union (EU) in Brüssel, Evert Jan van Lente.
Auf Anregung des AOK-Bundesverbandes will sich jetzt auch die European Social Insurance Platform (ESIP) entsprechend positionieren. "Eine Verlängerung der Frist ist insbesondere aus Gründen der Patientensicherheit kaum akzeptabel", sagt van Lente. Darüberhinaus leistet der Referentenentwurf zum MPAnpG-EU das, was der Titel des Gesetzes verspricht: Er passt bestehende deutsche Gesetze und Verordnungen im Wesentlichen an die Vorgaben der EU-Verordnungen an. Dazu gehören etwa das Medizinprodukte-Gesetz (MPG) und die Medizinprodukt-Sicherheitsverordnung (MPSV). Diese Regelungen werden in ein "Medizinprodukte-Durchführungsgesetz" (MDG) überführt. Zusätzlich werden mit diesem Gesetz Regelungen aus dem Übereinkommen des Europarates über die Fälschung von Arzneimittelprodukten und ähnlichen Verbrechen umgesetzt, die eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit darstellen (Medcrime-Convention).
Neue Kompetenzen fürs BfArM
Eine für Deutschland wesentliche Änderung ist die durch die EU-Verordnung vorgegebene Umgestaltung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern insbesondere bei der Anordnung und Umsetzung von Maßnahmen bei auffälliger Risikobewertung durch eine "zentrale" Stelle. Auch bei der Absprache mit entsprechenden Institutionen anderer EU-Länder oder bei fehlerhaften oder betrügerischen Anträgen bekommt diese zentrale Stelle eine bedeutende Rolle. Außerdem wird die Europäische Datenbank für Medizinprodukte (Eudamed) im Zuge der EU-Verordnungen zur Informationsdatenbank und Austauschplattform für alle Länder der Europäischen Union.
Die Kompetenz der zuständigen Bundesoberbehörde in Deutschland, des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), wird deutlich erweitert und gestärkt. Bisher hat das BfArM lediglich die Aufgabe der Risikobewertung von Medizinprodukten und gibt Empfehlungen an die zuständigen Behörden auf Länderebene. Jetzt bekommt es die Aufgabe, entsprechend der Risikobewertung selbst tätig zu werden, notwendige Maßnahmen festzulegen, umzusetzen und zu überwachen. Zum nationalen Gestaltungsspielraum, den die EU-Verordnungen zulassen, zählen auch detaillierte Vorgaben zu Verfahrensweisen des BfArM und einer künftigen Ethikkommission, die neben der Sicherheitsbewertung des BfArM eine eigene Bewertung im Rahmen der Prüfung und Einführung von Medizinprodukten vornehmen muss.
Mehr Vollmachten fürs Ministerium
Auch Regelungen zu klinischen Studien mit Medizinprodukten im Rahmen rein wissenschaftlicher Studien ohne unmittelbaren Bezug zu Produkteinführung und -überwachung werden festgelegt. Weitere Beispiele sind die Festlegung der Sprachen, in denen Unterlagen in Deutschland einzureichen sind, und die Qualifikation der Leiter beziehungsweise Hauptprüfer der klinischen Studien. Das Gesetz bevollmächtigt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zu mehreren Verordnungen, wenn es zum Beispiel um detailliertere Vorgaben geht, wer Zugang zu den nationalen Datenbanken haben kann oder wer die künftigen produktidentifizierenden Informationen („Unique Device Identification“, UDI) erhält. Hier unterstreicht der AOK-Bundesverband noch einmal seine langjährige Forderung, diese Informationen auch in den elektronischen Austausch der Abrechnungsdaten zu integrieren. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung wird das BMG auch ermächtigt, spezielle, auf die Nutzung von Software als Medizinprodukt (zum Beispiel Medical-Apps) zugeschnittene Regelungen zu erlassen.
Die Überwachung der Betriebe und Einrichtungen, die in die Zulassung eingebunden sind, obliegt in den meisten Fällen den zuständigen Landesbehörden. Das betrifft den gesamten Prozess von der Herstellung über die klinische Prüfung, die Markteinführung bis zur Verpackung. Die entsprechenden Details werden in eine Verwaltungsvorschrift verlagert. Hier plädiert der AOK-Bundesverband für eine Einbettung in ein Gesetz.
Langjährige Forderungen nicht nur des AOK-Bundesverbandes, sondern eines breiten, europaweiten Bündnisses, wie eine EU-weite Zulassungsstelle für Medizinprodukte oder klinische Studien zum Nachweis des Nutzens und der Sicherheit von Medizinprodukten der höchsten Risikostufe, sind ebenso wenig Teil der EU-Verordnung wie eine umfassende Produkthaftung für die Hersteller. All dies fällt nicht in den nationalen Gestaltungsspielraum und kann somit auch nicht Inhalt des MPAnpG-EU sein.