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AOK-Experte zur Krankenhausreform: Finanzierung und Planung müssen Hand in Hand gehen
ams-Interview mit Dr. David Scheller-Kreinsen, Leiter des Referats Stationäre Versorgung im AOK-Bundesverband

Dr. David Scheller-Kreinsen
23.02.23 (ams). Die ersten Gespräche von Bund, Ländern und Regierungsfraktionen über die Vorschläge der Regierungskommission zur Krankenhausreform sind gelaufen, in dieser Woche steht die nächste Runde der Beratungen an. Unterdessen sorgt eine von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) vorgestellte Auswirkungsanalyse für erregte Diskussionen. Die vorgestellte Maximal-Variante gehe aber an der Realität vorbei, sagt Dr. David Scheller-Kreinsen, Referatsleiter für Stationäre Versorgung im AOK-Bundesverband, im Interview mit dem AOK-Medienservice (ams).
Die Mitte Februar vorgestellte Auswirkungsanalyse zur Krankenhaus-Reform hat vor allem in den Ländern einige Wellen geschlagen. Ist die Aufregung aus Ihrer Sicht berechtigt?
Scheller-Kreinsen: Ich denke, einige Beteiligte sollten die Debatte mit etwas weniger Schaum vor dem Mund führen. Die Auswirkungsanalyse hat ja das Spektrum der möglichen Auswirkungen dargestellt. Die Kritiker der Reformvorschläge haben sich danach auf die Maximal-Variante gestürzt. Diese Extrem-Variante wird aber sicher nicht am Ende des Prozesses stehen. Zudem ist bei solchen Simulationen immer zu bedenken, dass bestimmte relevante Informationen zur Ausstattung und zu den Merkmalen der Krankenhäuser in den verfügbaren Daten gar nicht enthalten sind. Dadurch entstehen gewisse Verzerrungen. Wenn laut der Simulation drei Krankenhaus-Standorte in eine Level 1i-Klinik umgewandelt werden, ist es in der Realität vielleicht so, dass zwei der drei Standorte durch kluge Planungs-Entscheidungen als stationäre Standorte erhalten bleiben und nur einer zu einem Level-1i-Haus umgewandelt wird.
Ich finde es auch nicht gut, dass einige Akteure mit den Ängsten der Menschen in den ländlichen Regionen spielen. Dabei befinden sich zwei Drittel der „kleinen“ und nicht ausreichend spezialisierten Klinik-Standorte in urbanen und verdichteten Gebieten und nicht auf dem Land. Auch hier können die geplanten „Level 1i“-Häuser eine wichtige Rolle spielen, um ambulante und stationäre Versorgung besser zu verzahnen. Das darf nicht vergessen werden.
Insgesamt sollten wir das große Ziel der Reform in der Diskussion nicht aus dem Auge verlieren – und das ist die Verbesserung der Behandlungsqualität für Patientinnen und Patienten. Hier muss sich angesichts der immer noch weit verbreiteten Gelegenheitsversorgung etwas ändern. Da sind sich eigentlich auch alle Beteiligten einig.
Die Krankenhausgesellschaft hat in ihren jüngsten Vorschlägen zur Reform gefordert, statt der Level-Einteilung vor allem die Leistungsgruppen zum bundesweiten Instrument der Krankenhausplanung zu machen. Wie steht die AOK zu diesen Vorschlägen?
Scheller-Kreinsen: Mit den Leveln ist es ein bisschen wie mit der Steuererklärung auf dem Bierdeckel: Klingt erst mal gut. Denn natürlich ist es attraktiv, die komplizierten Krankenhausstrukturen drei oder vier Stufen zuzuordnen und daran sowohl die künftige Planung als auch Teile einer reformierten Vergütung festzumachen. Allerdings wäre das aus unserer Sicht nicht zielführend. Denn der Teufel steckt im Detail.
Das Etablieren von Leveln würde dazu führen, dass wir die Krankenhaustrukturen in Deutschland grundlegend in kurzer Zeit ganz neu aufstellen müssten. Die DKG-Analysen zeigen trotz einiger Übertreibungen ganz gut, welche zusätzlichen Probleme ein starres Level-System verursachen würde. Zudem fehlen uns die Mittel zur Umsetzung, denn das würde nach allen Prognosen zwischen 80 und 100 Milliarden Euro kosten. Selbst wenn wir die Mittel aufbringen könnten, stellt sich die Frage, ob diese Investitionen gut angelegt sind und ob wir damit ein gutes Verhältnis von Aufwand und Nutzen erreichen. Wir haben da deutliche Zweifel. Und es gibt sicher bessere und schnellere Wege die Versorgungsqualität zu erhöhen – zumal es ja auch noch andere Bereiche der Daseinsvorsorge gibt, die dringend modernisiert werden müssen.
Aber kann man die Level nicht auch einführen, ohne die ganze Krankenhauslandschaft umzukrempeln?
Scheller-Kreinsen: Das ist zumindest mit Risiken verbunden. Denn es kann dazu führen, dass sehr „flexible“ Level-Einteilungen definiert und dennoch mit Geld hinterlegt werden. Nach dem Motto: Wenn ein Standort zehn von 20 möglichen Fachabteilungen aufweist, wird er dem Level 3 zugeordnet und erhält einen höheren Preis oder eine leistungsunabhängige Pauschale. Wir sind dann im Prinzip bei einer Türschild-Finanzierung, die den Status quo konserviert. Jegliche Modernisierungseffekte würden ausbleiben – und die Chance, den dringend notwendigen Strukturwandel einzuleiten, würde mal wieder vertan. Im aktuellen politischen Umfeld würde es aber vermutlich auf diese Variante hinauslaufen.
Daher sollten die Level aus Sicht der AOK-Gemeinschaft nicht überbetont werden. Level können als Zielbild eine gute Orientierungshilfe darstellen und am Ende einer Krankenhaus-Strukturreform stehen, wenn Versorgungsauträge auf Basis von Leistungsbereichen und Leistungsgruppen definiert wurden, die den Anker der Reform darstellen müssen. Die Level ergeben sich dann aus den zugewiesenen Leistungsgruppen und nicht umgekehrt.
Warum sind Leistungsbereiche und Leistungsgruppen aus Sicht der AOK besser geeignet, um die Reform voranzubringen?
Scheller-Kreinsen: Die Landesregierung in NRW hat es gut auf den Punkt gebracht: „Die Strukturen müssen für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Strukturen“. Will man diesen Anspruch erfüllen, müssen Planung und Vergütung auf einer Systematik aufbauen, die einerseits vom Einzelfall abstrahiert, denn es geht ja um die Verfügbarkeit und Vorhaltung von Leistungen. Andererseits muss aber auch festgelegt werden, welche Strukturen künftig mit einem Versorgungsauftrag verknüpft sind und wofür konkret in der Zukunft fallunabhängig Gelder der Versicherten an die Kliniken mittels der Vorhaltepauschalen überwiesen werden. Nur so ist sichergestellt, dass keine Mitnahmeeffekte entstehen, die nicht mit einer Verbesserung der Versorgung verbunden sind. Die Leistungsbereiche und Leistungsgruppen erfüllen die genannten Voraussetzungen. Sie sollten daher der Anker der Krankenhausreform werden.
Die von der Regierungskommission geforderte verbindliche Verknüpfung von Vorhaltekostenfinanzierung und differenzierten Planungsentscheidungen auf Basis von Leistungsgruppen der Länder begrüßen wir daher ausdrücklich. Das ist eine gute Basis dafür, dass Krankenhausfinanzierung und Krankenhausplanung künftig Hand in Hand gehen.
Aber greift das nicht zu sehr in die Kompetenzen der Länder ein, die ja für die Krankenhausplanung zuständig sind?
Scheller-Kreinsen: Die Entscheidung, welche Klinik welchen Versorgungssauftrag erhält ist, bleibt ja wie bislang eine Entscheidung der Planungsbehörden auf der Landesebene. Allerdings ist es wesentlich, dass eine bundeseinheitliche Planungssprache eingeführt wird, die verpflichtend anzuwendende Leistungsbereiche- und gruppen definiert.
Ohne einheitliche Planungssprache und einem einheitlichen Maßstab für die Allokation von Vorhaltepauschalen würde es zu Verwerfungen zwischen der Bundes-, Landes- und Ortsebene kommen. Das hat schon bei früheren Reformen, zum Beispiel beim Pflegebudget, zu massiven Fehlentwicklungen und Umsetzungsdefiziten geführt. Zudem führt eine bundeseinheitliche Planungssprache dazu, dass wir eine transparente Basis für die Bundesland-übergreifende Krankenhausplanung bekommen. Das Planungsrecht der Länder sollte aus unserer Sicht auch mit der Pflicht verbunden sein, die Umsetzung nachvollziehbar und transparent zu machen.
Besteht in einem solchen Modell nicht die Gefahr, dass es zu einer inflationären Vergabe von Versorgungsaufträgen kommt?
Scheller-Kreinsen: Das stimmt, diese Gefahr sehen wir. Deshalb ist es zentral, dass der Aufsatzpunkt für die Definition der Leistungsbereiche die zu versorgende Bevölkerung und nicht eine aus der Perspektive des Krankenhauses definierte Fallmenge wird. Für die Umsetzung der Versorgungsaufträge kann zunächst auf die bisherige Hospitalisierungsinzidenz in den jeweiligen Regionen zurückgegriffen werden. Perspektivisch sollte der Bevölkerungsbezug weiterentwickelt werden. Er sollte dann stärker auf der Nachfrageseite ansetzen und sich von der historischen Inanspruchnahme lösen. Das ist eher ein Dekadenprojekt, aber wir sollten jetzt endlich damit beginnen.
Welche Rolle sollte der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Reform aus Sicht der AOK spielen?
Scheller-Kreinsen: Das „Bashing“ von Institutionen und insbesondere des GBA ist ja in der Gesundheitsszene zuletzt ziemlich in Mode gekommen. Wir halten es für richtig, dass die einheitliche Planungssprache, genau wie alle anderen bundeseinheitlichen Vorgaben, vom GBA definiert wird. Wenn man jetzt extra neue Institutionen für diese Aufgabe schaffen würde, würde nur wertvolle Zeit vergehen, die wir besser in die inhaltliche Arbeit investieren. Und der Aufbau neuer, professioneller Strukturen zur Umsetzung dieser Aufgaben benötigt auch zusätzliche Mittel.
Apropos Kosten: Die DKG schlägt einen fixen Notfallversorgungszuschlag und eine Vorhaltefinanzierung „mit einer relativen Fallzahlunabhängigkeit“ vor. Was ist von diesen Vorschlägen zu halten?
Scheller-Kreinsen: Der Vorschlag der DKG kommt für uns nicht überraschend. Natürlich fordern die Krankenhäuser mehr Geld. Für den Umbau der Krankenhaustrukturen wird es ja auch Investitionen brauchen, um eine Modernisierung zu ermöglichen. Das ist nachvollziehbar. Gleichzeitig ist ein Ziel der Reform jedoch auch eine Absenkung des Mengenanreizes. Daher ist es nicht zielführend, bei der Betriebskostenfinanzierung zunächst einfach noch etwas drauf zu packen, um dann irgendwann auf eine fallunabhängige Pauschale umzustellen. Dieses Vorgehen würde nicht zu einer Reduzierung des Mengenanreizes beitragen. Die Vorhaltepauschalen müssen schon durch eine Ausgliederung aus den Fallpauschalen finanziert werden. Sonst geht die Gleichung nicht auf.
Die von der DKG vorgeschlagene Regelung der Vorhaltefinanzierung über die Budgetverhandlungen auf der Ortsebene sei keine gute Idee, hieß es in einer ersten Stellungnahme der AOK. Warum?
Scheller-Kreinsen: Die Krankenhäuser sind schlecht beraten, wenn sie für eine Abwicklung von Vorhaltepauschalen auf der Ortsebene argumentieren. Wenn man die Ausgleiche im Rahmen der Budgetverhandlungen festsetzen müsste, würde das die Komplexität auf der Ortsebene weiter erhöhen. Das würde zum Beispiel zu Debatten über Nachweise zu den schon geflossenen Vorhaltekosten führen. Dazu müssten dann entsprechende Vereinbarungen geschlossen werden. Schon jetzt hinken wir bei den Budgetverhandlungen zeitlich hinterher, und eine weitere Erhöhung der Komplexität würde prospektive Budgetverhandlungen praktisch unmöglich machen – zumal wir hier über ein erhebliches Volumen von etwa 20 Prozent des jeweiligen Klinikbudgets sprechen.
Wie sollte es denn die Vorhaltefinanzierung stattdessen geregelt werden?
Scheller-Kreinsen: Das Ganze sollte laufen wie bei der Finanzierung der Feuerwehr. Für diesen Teil der Krankenhaus-Ausgaben darf die Inanspruchnahme keine Rolle spielen.
Die Auszahlung könnte, wie der Regierungskommission vorgeschlagen, über einen Fonds beim Bundesamt für Soziale Sicherung laufen. Das könnte über jährliche oder monatliche Zahlungen erfolgen. Ein solches Vorgehen würde allen Beteiligten höhere finanzielle Sicherheit bieten und die Resilienz der Krankenhausfinanzierung erhöhen.
Bei Auszahlung von Vorhaltekosten über die Budgetebene würde das Krankenhaus ja seine Vorhaltekosten – wie bislang – unterjährig in Abhängigkeit von der Fallzahl erhalten. Bei Auslastungsschwankungen würde es dann also weniger Vorhaltefinanzierung geben, obwohl die Vorhaltungskosten gleich groß sind. Mit jährlichen oder monatlichen pauschalen Vorhaltekostenzahlungen würden dagegen übliche saisonale Schwankungen in den Fallzahlen genauso ausgeglichen wie außerordentliche Veränderungen der Inanspruchnahme. Somit erhalten die Krankenhäuser die Vorhaltevergütung dann so, wie auch ihre entsprechenden Ausgaben im Jahresverlauf anfallen. Und gleichzeitig wird das System dadurch krisenfester.
Die Krankenhausgesellschaft plädiert dafür, im Zuge der Reform auf die bisherigen Strukturvorgaben im Rahmen der Qualitätssicherung zu verzichten und stattdessen auf die Mindeststrukturvorgaben zu den Leistungsgruppen zu setzen. Können Sie da mitgehen?
Scheller-Kreinsen: Dieser Vorschlag ist irritierend. Eine gut aufgestellte Qualitätssicherung inklusive der bisherigen Strukturvorgaben wird man immer brauchen. Daran ändern ja auch mögliche Vorhaltepauschalen nichts. Über den Ausbau der Verwendung von Routinedaten zur Reduzierung des Dokumentationsaufwandes oder andere Aspekte kann man ja streiten. Aber pauschale Forderungen wie die der DKG führen sicher nicht zu einer effektiveren Versorgung oder zu einer höheren Versorgungsqualität.