Endlich Schluss mit der Aufschieberitis
Prokrastination
22.02.18 (ams). Ob für die Prüfung gelernt, endlich mal die Steuererklärung angegangen oder die Präsentation für die Arbeit fertiggestellt werden soll - wichtige Entscheidungen, drängende Aufgaben oder unangenehme Pflichten schiebt jeder mal gerne vor sich her. Das ist menschlich. Doch bei manchen Menschen erzeugt das Aufschieben einen solchen Druck, dass sie darunter leiden und ihnen schwerwiegende Folgen drohen, etwa der Abbruch einer Ausbildung oder berufliches Scheitern. Doch gegen dieses Aufschieben, das wissenschaftlich als Prokrastination bezeichnet wird, kann man etwas tun.
Das Aufschieben von Tätigkeiten ist ein Alltagsphänomen und den meisten Menschen bekannt. Nur zwei Prozent geben an, niemals Dinge aufzuschieben, heißt es bei der Prokrastinationsambulanz der Universität Münster. Anhand von Querschnittstudien fanden die Münsteraner Wissenschaftler jedoch heraus, dass sieben Prozent der Studierenden ein behandlungsbedürftiges Aufschiebe-Problem haben. Typisch für Aufschieber sind Sätze und Gedanken wie: "Ich fange an, wenn der Abwasch gemacht ist.", "Bis zur Abgabe ist noch eine Woche Zeit.“, "Ich arbeite besser mit größerem Druck." oder „Ich bin jetzt nicht in der richtigen Stimmung." Erst einmal ist das Aufschieben nachvollziehbar: "Vor allem Menschen, die sich ihre Arbeit frei einteilen können, kennen das oft sehr gut", sagt Dr. Dieter Bonitz, Diplom-Psychologe im AOK-Bundesverband. Die mit der bevorstehenden Aufgabe verbundenen schlechten Gefühle wie Stress und Druck verschwinden. Aber leider nur kurzzeitig. Anschließend ärgern sich die meisten doch über sich selbst, sind unzufrieden und haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie mal wieder etwas Wichtiges aufgeschoben haben, andere leiden sehr stark darunter.
Sendefertige O-Töne mit Dr. Dieter Bonitz, Diplom-Psychologe im AOK-Bundesverband
"Der Leidensdruck der Prokrastination kann sehr unterschiedlich sein", sagt Bonitz. Die Aufschieberitis kann so schlimm sein, dass man die Dinge nicht nur aufschiebt, sondern sie tatsächlich nicht mehr zu Ende bringt. Wer so weit ist, hat meist schon einen langen Leidensweg hinter sich: Aufschieber fühlen sich als Versager. Mitmenschen empfinden sie oft als Faulpelze oder Drückeberger. "Doch Prokrastination hat nichts mit Faulheit zu tun, sondern ist ein ernsthaftes Problem der Selbststeuerung. Diese Arbeitsstörung kann unterschiedliche Ursachen haben", so Bonitz. Dahinter kann beispielsweise stecken, dass jemand schlecht Prioritäten setzen kann und deshalb gar nicht weiß, wo er beim Abtragen des Arbeitsberges anfangen soll. Viele stellen so hohe Ansprüche an sich, dass sie beim Verfassen einer Arbeit nicht wissen, wie sie die Ansprüche zu Papier bringen sollen. Wieder andere haben vor allem Probleme damit, sich ihre Zeit und die Arbeit sinnvoll einzuteilen. "Das Aufschieben kann aber auch als Teil einer Depression oder Angststörung auftreten oder ein Aufmerksamkeitsdefizit als Ursache haben", sagt AOK-Experte Bonitz.
Mit einem Selbsttest kann man feststellen, wie es um das eigene Aufschieben bestellt ist. Entwickelt hat ihn der Psychologe und Psychoanalytiker Hans-Werner Rückert von der FU Berlin. "Wer stark leidet, wenn er seine Arbeit nicht erledigt bekommt, der braucht professionelle Hilfe", sagt Bonitz. Doch viele Aufschieber können sich auch schon selbst ein gutes Stück weiter helfen - mit den richtigen Tricks und Tipps. Psychologe Bonitz rät Aufschiebern:
- eine karge Arbeitsumgebung zu schaffen, damit wenig ablenkt
- eine Liste zu erstellen, auf der alles steht, was zu erledigen ist
- all die Dinge wieder von der Liste zu streichen, die man niemals ernsthaft machen wollte
- realistische Ziele zu setzen
- die verbleibende Arbeit in kleine Portionen einzuteilen, damit der Berg nicht zu groß ist
- zu überlegen, wie viel Zeit für einen Arbeitsschritt benötigt wird, und dann für den Tag eine bestimmte Zeitspanne festzulegen, in der der Arbeitsschritt konkret erledigt wird, also: "Von 13 bis 14 Uhr sitze ich an meinem Schreibtisch und arbeite diese Portion ab."
- die Abgabefrist, die man einhalten will, um eine Woche nach vorn zu verlegen Pausen einzuplanen
- nach Erledigung einer Aufgabe auszuwerten, wie es geklappt hat und welche Schwierigkeiten es gab
- Belohnungen auch für kleine Erfolge zu vergeben. So motiviert man sich.