Endlich Ruhestand: Was tun, wenn der Schreibtisch plötzlich leer ist
ams-Serie "Männergesundheit" (4)
29.04.19 (ams). Bis zuletzt voll Power - und dann nur noch Privatier? Das macht vielen Männern zu schaffen, so sehr sie sich den wohlverdienten Ruhestand auch herbeigesehnt haben. Um der Leere vorzubeugen, die mit dem Eintritt in den Ruhestand entstehen kann, sollte Mann sich frühzeitig auf den dritten Lebensabschnitt vorbereiten. Ausschlafen, Füße hochlegen, Reisen, unendlich viel Freizeit - der Ruhestand erscheint vielen gestressten Arbeitnehmern als das Paradies auf Erden. Doch das ruhige Leben als Pensionär bekommt nicht jedem. Wenn der Schreibtisch plötzlich leer ist, die Tage nicht mehr strukturiert sind und das Telefon stillsteht, wenn die Kontakte zu den Kollegen wegfallen und die Anerkennung für berufliche Erfolge ausbleibt, dann macht das vielen Neurentnern zu schaffen. "Der Übergang in den Ruhestand ist ein großer Einschnitt, der oft unterschätzt wird", sagt Christine Spanke, Diplom-Psychologin und Expertin für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) bei der AOK. "Männer neigen stärker als Frauen dazu, sich vor allem über den Beruf zu definieren, und sind deshalb eher gefährdet, mit dem Ruhestand in ein Loch zu fallen." Nicht selten erwartet sie statt des erhofften Paradieses eine handfeste Krise: Sie wissen nichts mit sich anzufangen, fühlen sich überflüssig, gehen sich selbst und womöglich auch ihren Partnerinnen oder Partnern gehörig auf die Nerven. Führungskräften fällt es besonders schwer, den Übergang in die Rente zu verkraften. "Sie, die viel Macht und Status hatten, deren Tage durchgetaktet waren, die über vieles entscheiden konnten, sind nun mit massiven Verlusterfahrungen konfrontiert", erläutert Psychologin Spanke. "Die Arbeit hat ihr Leben so dominiert, dass sie kaum Zeit hatten, Freundschaften oder Hobbys zu pflegen, die sie im Ruhestand tragen könnten." Etwa ein Drittel der Führungskräfte ist gefährdet, ein sogenanntes Empty-Desk-Syndrom (wörtlich übersetzt "Leerer-Schreibtisch-Syndrom") zu entwickeln, so die Zahlen des Psychologen Otto L. Quadbeck. Er hat mit seinem gleichnamigen Buch den Begriff geprägt - analog zum Empty-Nest-Syndrom: eine Krise um die Lebensmitte, wenn mit dem Auszug der Kinder ein bisheriger Lebensinhalt wegfällt. "Ex-Manager mit einem Empty-Desk-Syndrom leiden unter vielfältigen psychosomatischen Symptomen, fühlen sich innerlich leer oder haben Versagensgefühle, ziehen sich zurück und können sich unter Umständen zu nichts mehr aufraffen", so Spanke. Der Wandel von einer VIP (very important person, sehr wichtigen Person) zu einer PIP (previously - also ehemals - important person) nagt massiv am Selbstbewusstsein.
Weitere Infomationen:
- AOK-Service für Unternehmen
- Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA - Führungskräfte Chemie)
- Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
- Otto L. Quadbeck, Wolfgang L. Roth: Das "Empty-Desk-Syndrom“. Die Leere nach der Pensionierung: Wie Führungskräfte nach Beendigung der Erwerbsarbeit ihre psychischen Probleme bewältigen. Papst Science Publishers 2008. (als E-Book erhältlich)
Arbeit bedeutet eben nicht nur Belastung, Druck und Stress, sondern auch Selbstverwirklichung und Anerkennung. "Wenn die Arbeitsbedingungen stimmen, hat Arbeit positive Effekte auf die psychische Gesundheit, denn sie stiftet Sinn, schafft Verbundenheit mit anderen Menschen und bietet die Chance, sich als Persönlichkeit mit all seinen Fähigkeiten zu entfalten", so Diplom-Psychologin Spanke. Laut einem Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat sich die Zahl der Erwerbstätigen im Rentenalter zwischen 2001 und 2011 auf 760.000 verdoppelt. Der Autor der DIW-Studie von 2013 kommt zu dem Schluss, dass es in vielen Fällen nicht die finanzielle Not zu sein scheint, die die über 65-Jährigen zur Arbeit treibt. Weiteres Ergebnis: Die arbeitenden Rentnerinnen und Rentner sind zufriedener als ihre nicht erwerbstätigen Altersgenossen, und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. "Menschen brauchen Herausforderungen, die meisten möchten aktiv sein", betont Spanke. Das bedeutet jedoch nicht, dass man immer weitermachen sollte wie bisher, in dem gleichen Beruf, mit dem gleichen Tempo, mit der gleichen Wochenarbeitszeit. "Wichtig ist es, Bilanz zu ziehen, den roten Faden im Leben zu erkennen, um dann zu entscheiden, wie es weitergehen soll", so die BGF-Expertin weiter. Dazu sollte auch die Partnerin einbezogen werden, denn auch sie muss sich darauf einstellen, dass der Mann künftig nicht mehr regelmäßig morgens das Haus verlässt. Wie möchten beide gemeinsam den neuen Lebensabschnitt gestalten? Schließlich haben 60-jährige Männer noch im Durchschnitt über 20 Jahre vor sich, 70-jährige immerhin noch 14 Jahre. Letztlich gilt es, eine neue nachberufliche Identität zu entwickeln, und das braucht Zeit. Deshalb rät Psychologin Spanke dazu, möglichst frühzeitig darüber nachzudenken und schon in den Jahren vor dem möglichen Ausstieg Ideen zu sammeln und sich auf die Zeit nach dem Tag X gezielt vorzubereiten. Oft ist es sinnvoll, schon während des Berufslebens etwas aufzubauen, was man später weiterführen möchte, sich etwa schon mal einen Nachmittag in der Woche ehrenamtlich zu engagieren. Auch ein fließender Übergang kann den Berufsausstieg erleichtern. So sollten sich künftige Rentner bewusst von Aufgaben, Kollegen und Kolleginnen verabschieden und Verantwortung schrittweise an Jüngere abgeben.
Neue Möglichkeiten nutzen
Mehr für die Gesundheit tun, eine neue Sprache lernen, den Kontakt zu alten Freunden wieder aufnehmen, einem Männerkochklub beitreten, sich um die Enkel kümmern, jungen Menschen das berufliche Wissen und die angesammelte Erfahrung weitergeben - es gibt heute viele Möglichkeiten, wie die Zeit jenseits der 65 aussehen könnte. Auch die, weiter zu arbeiten - egal ob stundenweise oder Vollzeit, ob selbstständig oder angestellt. Ehemalige Top-Manager sitzen oft in Aufsichtsräten oder Kuratorien, ihre Netzwerke können sie gut für eine Tätigkeit als Berater oder Coach nutzen. Auf dem Arbeitsmarkt bleiben die Türen für ältere Erwerbstätige zunehmend offen, denn aufgrund des demografischen Wandels sind Unternehmen, Verbände und Behörden immer mehr auf die sogenannten Silver Workers angewiesen. Egal, wofür sich der Mann entscheidet: Eine bewusste Gestaltung des Ruhestands, eine Verwirklichung von eigenen Wünschen und Bedürfnissen entlastet auch die Partnerschaft.