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Rheuma bei Kindern - früh erkennen und behandeln

Nicht nur alte Menschen betroffen

16.12.21 (ams). Rheuma ist nicht nur eine Erkrankung alter Leute, auch Kinder und Jugendliche können betroffen sein. Bei Kindern ist die Gelenkentzündung allerdings nicht leicht zu erkennen und zu diagnostizieren. Wird Kinderrheuma aber früh und konsequent behandelt, stehen die Chancen gut, dass die Kinder ein Leben ohne große Beeinträchtigungen führen können. Worauf Eltern achten sollten, sagt Dr. Julian Bleek, Arzt im AOK-Bundesverband.

Die Zweijährige möchte morgens nicht mehr aufstehen. Tagsüber will das Mädchen wieder getragen werden, obwohl es längst laufen kann. Nach einigen Untersuchungen und einem Besuch bei einer Spezialistin stellt sich heraus: Das Kind hat Rheuma. "Rheuma kommt bei Kindern häufiger vor, als man denkt. Die Prognose ist in der Regel aber günstig“, sagt Dr. Bleek. "Bei rechtzeitiger und konsequenter Therapie stehen die Chancen für einen vollständigen Rückgang der Gelenkentzündung gut."


Radio O-Ton mit Dr. Julian Bleek, Arzt im AOK-Bundesverband

Behandlung von Rheuma bei Kindern

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Was ist eine JIA?

Die juvenile idiopathischen Arthritis, kurz: JIA, ist die häufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Juvenil heißt „bei jungen Menschen“ unter 16 Jahren, idiopathisch bedeutet „unbekannte Ursache“ und Arthritis ist der medizinische Fachbegriff für Gelenkentzündung. Sehr viel seltener kommt bei Kindern Rheuma des Bindegewebes (Kollagenosen) oder der Blutgefäße (Vaskulitiden) vor. Jedes Jahr erkranken laut Deutscher Rheuma-Liga in Deutschland rund 1.200 Kinder an der JIA, etwa 15.000 Kinder und Jugendliche sind hierzulande insgesamt von der chronischen Gelenkentzündung betroffen, so das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum Berlin. Expertinnen und Experten rechnen allerdings mit einer hohen Dunkelziffer, weil Rheuma bei Kindern nicht leicht zu erkennen ist.
 

Kleine Kinder drücken Schmerzen oft anders aus

Häufig beginnt die Erkrankung mit einem geschwollenen Knie oder auch einem anderen schmerzenden Gelenk, wie Hand- oder Sprunggelenk. "Aber nicht immer klagen die betroffenen Kinder über Schmerzen“, sagt Mediziner Bleek. „Auch sichtbare Gelenkschwellungen können fehlen." Manchmal weisen dann lediglich ein auffälliges Gangbild oder Schonhaltungen auf das Vorliegen einer Gelenkentzündung hin. Die Deutsche Rheuma-Liga nennt folgende Anzeichen, auf die Eltern achten sollten:

  • Sind die Gelenke des Kindes überwärmt, geschwollen und am Morgen steif?
  • Hat das Kind Schmerzen, besonders beim Aufstehen?
  • Sind ein oder mehrere Gelenke beim Anfassen schmerzhaft?
  • Will das Kleinkind plötzlich wieder getragen werden, obwohl es doch schon laufen kann?
  • Greift das Kind anders zu oder stützt sich anders ab als sonst?

Auch das Kiefergelenk oder die Augen können betroffen sein:

  • Hat das Kind Schmerzen beim Kauen oder beim Öffnen des Mundes? Möchte es auf einmal nur Weiches essen?
  • Eine Augenentzündung ohne Juckreiz und Schmerzen können ebenfalls ein Warnzeichen sein.

Herausforderung für die ganze Familie

  • Eltern müssen eine gewisse Standhaftigkeit zeigen, damit ihr Kind täglich seine Übungen macht, Medikamente einnimmt oder Eingriffe über sich ergehen lässt.
  • Das Kind nicht zu sehr schonen. Wenn möglich, es an allen Aktivitäten, auch am Schulsport teilnehmen lassen. Eine Notenbefreiung kann in Erwägung gezogen werden.
  • Die erkrankte Tochter und den erkrankten Sohn gegenüber den Geschwistern nicht bevorzugen, sondern auch bei familiären Verpflichtungen mit einbeziehen.
  • Die Krankheit des Kindes nicht zu sehr in den Vordergrund stellen, das Kind als eigene Persönlichkeit wahrnehmen.
  • Wichtig ist es, viel zu kommunizieren: Innerhalb der Familie, aber auch mit allen anderen Beteiligten.

Bei einem Verdacht können Eltern erst einmal selbst alle Gelenke des Kindes nacheinander testen, indem sie sie vorsichtig bewegen. Dr. Bleek: "Dabei sollten sie das Kind genau beobachten: Verzieht es das Gesicht bei einer bestimmten Bewegung und zeigt es eine Abwehrreaktion?" Die Gelenke sollten auf beiden Seiten gleich gut beweglich sein. Treten bei diesem Test Probleme auf, ist es ratsam, dass die Eltern möglichst bald eine Kinderärztin oder einen Kinderarzt aufsuchen, um bei Bedarf an eine Kinderrheumatologin oder Kinderrheumatologen zu überweisen. Eine exakte medizinische Diagnose ist alles andere als einfach, weil es keine eindeutigen Laborwerte oder typische Röntgenbefunde gibt. "Die Diagnose rheumatischer Erkrankungen bei Kindern ergibt sich meist aus einer Vielzahl von Befunden zusammen mit einer passenden Krankheitsgeschichte und setzt viel Erfahrungen voraus", hebt der AOK-Experte hervor. Doch nicht jedes geschwollene oder schmerzende Gelenk bedeutet gleich Rheuma: Mit etwas Glück klingt gerade bei kleinen Kindern eine Gelenkentzündung nach wenigen Tagen oder Wochen von selber wieder ab.

Eltern trifft keine Schuld

Bei einer chronischen Gelenkentzündung richtet sich das körpereigene Abwehrsystem nicht nur gegen fremde Krankheitserreger, sondern auch gegen körpereigene Strukturen. Mediziner sprechen dann von einer Autoimmunerkrankung. Fehlgesteuerte Immunzellen wandern in die Gelenke, manchmal auch in Organe ein. Dort sorgen sie dafür, dass entzündungsfördernde Stoffe produziert werden, sodass sich die Gelenkinnenhaut entzündet. Ohne Therapie kann das Gelenk dadurch zerstört werden. Warum die Erkrankung bei manchen Kindern ausbricht, ist trotz intensiver Forschung nicht geklärt. Deshalb ist von „idiopathischer“ Arthritis die Rede. Expertinnen und Experten vermuten, dass es sich um ein komplexes Gemisch von genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren handelt. So könnten etwa anhaltender Stress oder auch eine Infektion den Ausbruch der Erkrankung begünstigen. Bleek: "Wichtig ist festzuhalten: Die Eltern trifft keinerlei Schuld. Sie hätten die Krankheit nicht verhindern können."

Eine JIA hat viele Gesichter

Bei der JIA können je nach Form ein oder mehrere Gelenke betroffen sein, aber auch Haut, innere Organe, die Augen oder Sehnenansätze:

  • Oligoarthritis (oligo = wenige): Über die Hälfte der kleinen JIA-Patienten leiden an dieser Form. Nur wenige Gelenke sind entzündet, nicht selten nur das Kniegelenk. Jedes fünfte Kind entwickelt eine Augenentzündung.
  • Polyarthritis (poly = viele): Entzündung von mehr als vier Gelenken, oft sind auch Finger- oder Zehengelenke betroffen. Bei wenigen Kindern, meistens jugendlichen Mädchen, lassen sich Rheumafaktoren nachweisen (Rheumafaktor-positive Polyarthritis).
  • Systemische Arthritis: Beginn mit hohem Fieber, häufig begleitet von blass-rötlichen Hauterscheinungen. Entzündungen der Gelenke und inneren Organe.
  • Psoriasisarthritis: Die Gelenkentzündung kann einer Schuppenflechte (Psoriasis) vorausgehen.
  • Arthritis mit Enthesitisneigung (Enthesis = Sehnenansatz): Typischerweise erkranken Jungen im Schulalter an dieser Form. Knie- und Sprunggelenke sind betroffen, aber auch die Sehnenansätze, z.B. an der Ferse.

Quelle: Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie

Medikamente und Bewegungstherapie

Eltern oder auch die Erziehungsberechtigten können allerdings viel für die Heilung tun, indem sie bei einem Anfangsverdacht möglichst schnell eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen, bei einer Diagnose an der Therapie dranbleiben und dabei für möglichst viel Disziplin sorgen, was nicht einfach ist. Doch eine konsequente Therapie ist gerade bei Kindern sehr erfolgversprechend. Wissenschaftliche Daten zeigen: Je früher und je konsequenter die Therapie erfolgt, desto häufiger können die Betroffenen als Erwachsene ohne Medikamente auskommen und desto seltener kommen Komplikationen und Begleiterkrankungen vor. Die Therapie ruht hauptsächlich auf zwei Säulen: Medikamente, die die Entzündung eindämmen, und physiotherapeutische Übungen, die die Beweglichkeit erhalten sollen.

In der Regel beginnt die Therapie mit sogenannten nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) – Medikamente, die teilweise auch als freiverkäufliche Schmerzmittel bekannt sind, die aber auch eine Entzündung lindern können. Wenn NSAR nicht ausreichen, stehen sogenannte Basismedikamente zur Verfügung, die in das Immunsystem eingreifen. Darunter konventionelle, aber auch neuere biologische Medikamente, die gezielt Botenstoffe blockieren können. Eventuell kommt auch Kortison zum Einsatz, das nach Möglichkeit lokal verabreicht wird, z.B.  als Spritze ins Gelenk.

Möglichst tägliche physiotherapeutische Übungen können die Gelenkigkeit des Kindes fördern, Schmerzen lindern, Verspannungen lösen und Muskeln kräftigen. Die Therapeutin oder der Therapeut sollte möglichst erfahren sein, denn die Übungen müssen ständig an die jeweilige Tagesform des Kindes angepasst werden. Zu intensive oder falsche Krankengymnastik kann auch schaden. Idealerweise sind in die Therapie noch eine Ergotherapeutin mit eingebunden, die zum Beispiel bestimmte Hilfsmittel einführen kann, und ein Psychologe, der das Kind und die gesamte Familie unterstützen kann.