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Wann ist es Gewalt?
Aspekte und Ausprägungen von Gewalt in der Pflege

14.12.22 (ams). Kulturelle und soziale Einflüsse, gesellschaftliche Normen und persönliche Werte - all das prägt das Verständnis von Gewalt. Nicht alles, was in der Pflege als Gewalt verstanden wird, ist rechtlich verboten. Auch respektlose Kommunikation gegenüber Pflegbedürftigen oder aggressives Verhalten können demütigend sein und die Würde verletzen.
Die Ursachen, warum es zu Gewalt im Pflegebereich kommt, sind vielfältig: Überforderung, Zeitdruck, Personalmangel. Und nicht immer steht Absicht dahinter. Doch pflegebedürftige Personen können ebenfalls gewalttätig sein. Das gilt etwa für Demenzkranke, die mitunter aggressiv, laut oder handgreiflich werden.
Auch zwischen pflegebedürftigen Menschen kann Gewalt stattfinden - zum Beispiel in Form von Beleidigungen, aggressivem Verhalten bis hin zu körperlicher Gewalt oder sexueller Belästigung. Auslöser dafür sind oft alltägliche Situationen in Pflegeeinrichtungen wie der Streit über den Platz im Speiseraum, ständiges Rufen anderer Bewohner oder unerlaubtes Betreten eines fremden Zimmers. Für das Pflegepersonal ist das oft eine Herausforderung, denn es hat die Pflicht, pflegebedürftige Menschen zu schützen. In solchen Fällen sollte das Pflegepersonal möglichst früh eingreifen und die Konfliktparteien trennen. Dabei ist es wichtig, selbst ruhig zu bleiben und den Betroffenen zu zeigen, dass man sie ernst nimmt - ohne zu schimpfen oder zu belehren.
Allgemein lassen sich folgende Aspekte von Gewalt in der Pflege unterscheiden:
Körperliche Gewalt
Dazu gehören unter anderem Schlagen, Kratzen, Spucken oder grobes Anfassen, aber auch unbequemes Hinsetzen oder Hinlegen sowie die unerlaubte Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen (Bettgitter, Gurte, Ruhigstellung mit Schlafmitteln oder Psychopharmaka). Kratzer, Hautverletzungen oder blaue Flecken können Hinweise auf körperliche Gewalt sein, aber auch Abdrücke auf der Haut, beispielsweise von Schnallen oder Gürteln.
Psychische Gewalt
Sie wird immer dann ausgeübt, wenn eine Person angeschrien, beschimpft, beleidigt, ignoriert oder gedemütigt wird. Auch ungefragtes Duzen oder das Betreten des Zimmers ohne Anklopfen ist eine Grenzüberschreitung.
Vernachlässigung
Vernachlässigung ist ebenso eine Form von Gewalt - dazu zählen zum Beispiel das Unterlassen von Hilfen im Alltag, mangelhafte Pflege und Hygiene oder der Entzug von Nahrung oder Flüssigkeit. Vernachlässigung ist nicht immer leicht nachzuweisen. Wenn die pflegebedürftige Person ungepflegt, dehydriert oder unterernährt erscheint oder sich ihr Allgemeinzustand in kurzer Zeit ohne medizinischen Grund stark verschlechtert hat, sollte man das Gespräch mit der Einrichtungsleitung und dem behandelnden Arzt suchen. Wer einen Schutzbefohlenen pflegt und sich nicht ausreichend kümmert, kann sich der Misshandlung strafbar machen - das gilt auch für pflegende Angehörige.
Finanzielle Ausnutzung
Eine Form von Gewalt ist auch die finanzielle Ausbeutung durch Pflegepersonen, Angehörige oder Betreuerinnen und Betreuer, indem diese mit dem Vermögen der anvertrauten Pflegebedürftigen nicht rechtmäßig umgehen, diese zu Geldgeschenken nötigen oder Geld beziehungsweise Wertgegenstände stehlen.
Dazu gehören beispielsweise sexuelle Andeutungen, das Verletzen von Schamgefühl und Intimsphäre oder erzwungene Intimkontakte.
Anzeichen für Gewalterfahrungen
Anzeichen für Gewalterfahrungen können Verhaltensänderungen der pflegebedürftigen Person ohne medizinischen Grund sein. Sie wird plötzlich scheu, verängstigt, teilnahmslos, aggressiv oder übertrieben respektvoll. Auch Selbstverletzungen können ein Alarmsignal sein.
Pflegende Angehörige, aber auch professionell Pflegende warten oft zu lange, bevor sie Hilfe suchen, obwohl sie überlastet sind und sich überfordert fühlen. Die Angehörigen haben zum Beispiel Anspruch auf eine kostenlose Pflegeberatung, die bei einer besseren Organisation der Pflege helfen kann. AOK-Versicherte können sich dazu an die AOK-Pflegeberatung wenden. Pflegende Angehörige können auch ambulante Pflegedienste zur Unterstützung heranziehen oder die betreute Person in einer Tagespflege betreuen lassen. Professionell Pflegende sollten ihre Überlastung mit Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten besprechen und gemeinsam nach Lösungen suchen.