Morbi-RSA: Empfehlungen der Sondergutachten ernst nehmen

Porträt Martin Litsch

Martin Litsch

(19.09.18) Mit Unverständnis nimmt der AOK-Bundesverband die neuen Vorschläge der Ersatzkassen zur Reform des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) zur Kenntnis."„Wir waren uns darin einig, dass zur sinnvollen Weiterentwicklung des Morbi-RSA wissenschaftliche Expertise und klare Empfehlungen gehören", so der Vorstandsvorsitzende Martin Litsch. "Nun liegen die Gutachten vor, doch die Ersatzkassen ignorieren wesentliche Punkte und fordern das Gegenteil. Auf diese Weise lässt sich der Morbi-RSA nicht weiterentwickeln."

Die RSA-Experten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesversicherungsamt führten bereits in ihrem Sondergutachten 2017 aus, dass es besonders wichtig ist, künftig alle statt wie bisher 80 Krankheiten im Morbi-RSA zu berücksichtigen. Laut Beirat können damit noch bestehende, gegen kranke Versicherte gerichtete Risikoselektionsanreize weiter reduziert und die Manipulationsresistenz gestärkt werden. Dagegen fordert der Verband der Ersatzkassen (vdek) jetzt, nur noch teure, dafür aber seltene Erkrankungen im Morbi-RSA aufzugreifen. Litsch: "Das würde den Morbi-RSA zurückstutzen und die Versorgung von Millionen chronisch kranker Menschen schwächen. Sinnvoll ist deshalb die Berücksichtigung aller Krankheiten, chronischer wie kostenintensiver gleichermaßen."

Die Reform des Morbi-RSA auf Grundlage der Gutachten bedeute im Übrigen ein finanzielles Minus für die AOK, so Litsch: "Trotzdem halten wir die Einführung des Vollmodells für ordnungspolitisch geboten, selbst wenn sie die AOK-Gemeinschaft etwas kosten wird. Auch wenn wir derzeit von der Widersprüchlichkeit des RSA profitieren, dass es gerade für junge, gesunde Versicherte deutlich mehr Geld im derzeitigen Morbi-RSA gibt, sollte die Überdeckung bei Gesunden mit der angekündigten Reform behoben werden."

Für die vom vdek geforderte Einführung einer Regionalkomponente in den Morbi-RSA sieht der AOK-Bundesverband weiterhin keine Grundlage. Litsch: "Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass der Morbi-RSA bereits heute regionale Unterschiede zum Großteil ausgleicht." Demnach habe die regionale Verteilung von Versicherten keinen nennenswerten Einfluss auf die Finanzergebnisse der Kassen. Zudem werde widerlegt, dass die regionale Angebotsstruktur die Unterschiede in der Ausgabendeckung in relevantem Umfang verursache. "Kurzum, es fehlt die Begründung, worin ein Anreiz zur regionalen Risikoselektion bestehen könnte und ein Nachweis, dass regionale Risikoselektion ein praxisrelevantes Problem darstellt. Regionale Ausgleichskriterien sind keine sachgerechte Ergänzung im Morbi-RSA. Stattdessen zementieren sie bestehende Strukturen der Über-, Unter- und Fehlversorgung und setzen damit Fehlanreize in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit", so Litsch.

Litsch zufolge liegen die Ersatzkassen auch falsch, wenn sie die Unterschiede bei den Finanzergebnissen der Krankenkassen immer wieder auf den RSA zurückführen. "Die Zuweisungen aus dem Morbi-RSA für einen Diabetiker oder einen Depressionskranken sind für Ersatzkassen die gleichen wie für AOKs", stellt der Verbands-Chef klar. Unterschiedlich sei aber die Ausgabenentwicklung, die nichts mit dem Morbi-RSA zu tun habe. Hier liege die AOK seit Jahren unter dem Durchschnitt, einzelne Ersatzkassen regelmäßig darüber.

Zugleich unterstreicht Litsch: "Viele Empfehlungen des Beirats sind zwischen den Kassen unstrittig. Das Alter sollte in die Berechnung der Morbiditätszuschläge mit einfließen. Auch der Erwerbsminderungsstatus sollte zur Differenzierung des Schweregrads herangezogen werden. Und es braucht natürlich verbindliche Kodierrichtlinien sowie eine gestärkte Aufsicht, um den RSA besser vor Manipulationen zu schützen." Mit den beiden Sondergutachten lägen die notwendigen wissenschaftlichen Voraussetzungen für schnelle politische Entscheidungen vor. Der lang anhaltende Kassenstreit um den Morbi-RSA ließe sich somit schnell beenden, hofft Litsch. "Denn die großen Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen liegen woanders, zum Beispiel in der ländlichen Versorgung oder in der Pflege. Und die gilt es zu lösen."

(Pressemitteilung des AOK-Bundesverbandes vom 19.09.18)