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Krebs-Behandlungen in Zentren steigern die Überlebenschancen deutlich
Onkologie Syposium beim AOK-Bundesverband

Podiumsdiskussion (v.l.): Markus Algermissen, Dr. Gerald Gaß,
Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke, Dr. Carola Reimann,
Hedy Kerek-Bodden, Prof. Josef Hecken
27.04.22 (ams). Experten drängen auf eine zügige Konzentration von Krebsbehandlungen in spezialisierte Zentren mit geprüften Qualitätsstandards. Denn laut einer aktuellen Studie liegt die Sterblichkeit an zertifizierten Krebszentren um bis zu 26 Prozent niedriger als an nicht geprüften Kliniken. Die Daten sind in den vergangenen drei Jahren im Rahmen des Innovationsfonds-Projektes "Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren" (WiZen) ausgewertet worden. Das Ergebnis "ruft danach, dass im Sinne der Patienten stärker gesteuert werden sollte", sagte Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, bei einem Online-Symposium zur Vorstellung der WiZen-Ergebnisse am 26. April. "Die Selbstverwaltung sollte Handlungsfähigkeit beweisen und eine Konzentration der Krebsversorgung auf die zertifizierten Zentren im Gemeinsamen Bundesausschuss beschließen."
Die vom Innovationsfonds geförderte WiZen-Studie habe aus "gefühlter Evidenz echte Evidenz" gemacht, sagte Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), des höchsten Beschlussorgans der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Entscheidend sei, die Ergebnisse nun in die Praxis zu überführen. Ähnlich äußerte sich Simone Wesselmann von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG): Die Ergebnisse seien ein Beleg für die "hervorragende Arbeit" in den DKG-zertifizierten Zentren.
Der GBA-Chef drängt in diesem Zusammenhang auf eine qualitätsorientierte Krankenhausreform: "Wir brauchen ganz dringend eine Strukturbereinigung" sagte Hecken am Rande des Symposiums in einem Interview mit dem AOK-Forum "Gesundheit und Gesellschaft" (G+G). Es sei nicht mehr zeitgemäß, dass jede Klinik möglichst jede Leistung erbringen dürfe, "mag sie auch noch so komplex sein“, so Hecken. Dazu sei die Medizin heute viel zu spezialisiert und angesichts wachsender multimorbider Fälle zu schwierig. Es setze sich die Erkenntnis durch, dass „wir nicht unbedingt 1.900 Krankenhäuser brauchen“. Ein Strukturwandel müsse aber geordnet erfolgen.
Bisher hat die DKG in Deutschland 1.630 Zentren an etwa 430 Krankenhäusern zertifiziert. Dennoch werden immer noch 44 Prozent der neuerkrankten Krebspatienten an nicht-zertifizierten Kliniken behandelt. Verschiedene Positionen zeigten sich im Rahmen des AOK-Symposiums bei der Frage, wie die Nutzung geprüfter Krebszentren gestärkt werden kann. Reimann sieht hier Politik, GBA und Kliniken gefordert: "Wir müssen uns auf den Weg machen.“ Das sei auch schon vor der anstehenden Krankenhausreform auf Bundesebene möglich. Die Länder etwa könnten bereits jetzt Versorgungsaufträge gezielter vergeben.
Hecken plädierte für ein dreistufiges Versorgungsmodell. Die Basis sollten wohnortnahe Grundversorger bilden, die im Mittel "in 30 Minuten Fahrzeit" erreichbar sind. Diese könnten etwa über Vorhaltekosten finanziert werden. Auf der zweiten Ebene seien Klinikzentren angesiedelt, die feste Anforderungen erfüllen müssten. Die dritte Ebene bildeten Spitzenzentren etwa für die Behandlung von Krebs. "Das ist für mich das Modell der Zukunft, um die Behandlungsqualität zu verbessern und Gesundheitsleistungen auch wirtschaftlicher zu machen", unterstrich Hecken.
Es sollten zeitnah Konsequenzen aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen der WiZen-Studie gezogen werden, kommentierte Dr. Jürgen Malzahn die Ergebnisse. Hierzu müsse man nicht auf die Ergebnisse der Regierungskommission zur Krankenhausreform warten. Der Leiter der Abteilung "Stationäre Versorgung und Rehabilitation" im AOK-Bundesverband verwies in seinem Beitrag auf dem Symposium darauf, dass der GBA dazu durchaus Instrumente in der Hand habe. So könne das Gremium auf Basis des Paragrafen 136 im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) beschließen, dass Kliniken bestimmte Krebsbehandlungen nur noch erbringen dürften, wenn sie die Zertifizierungskriterien erfüllen. Das hat er bereits 2007 bei der Kinderonkologie getan“, erinnerte Malzahn. "Es ist dringend Zeit jetzt nachzulegen."
Zusammenfassung der WiZen-Ergebnisse
Zu den Ergebnissen des Projektes „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ (WiZen) finden Sie hier zum Download:
Ergebnisbericht zum WiZen-Projekt
Der Ergebnisbericht zum WiZen-Projekt sowie der Beschluss des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss zum Projekt sind am 17. Oktober 2022 auf der Website des Innovationsausschusses veröffentlicht worden.
Der GBA-Chef merkte an, dass der Weg über eine Richtlinie nach Paragraf 136 nicht so einfach sei. So könne der GBA zwar festlegen, dass beispielsweise nur noch jene Kliniken Krebskranke behandeln dürften, die bestimmte Standards erfüllten. "Das wäre aber ein Berufsverbot für die anderen Krankenhäuser", so Hecken. Ein solcher Schritt wäre daher wahrscheinlich erst im Zuge von Strukturreformen durchsetzbar. Der GBA-Vorsitzende schloss allerdings nicht aus, selbst einen entsprechenden Antrag in die Beratungen des GBA einzubringen.
Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), lehnte die Umsetzung der Ergebnisse in Versorgung nicht grundsätzlich ab. Er warnte aber vor einem solchen Schritt als isolierte Maßnahme, weil er Auswirkungen auf die gesamte Finanzierung der Krankenhauslandschaft nach sich ziehen könne. Denn bei der aktuellen Finanzierung über Fallpauschalen könnten kleinere Kliniken und damit die wohnortnahe Versorgung gefährdet werden. Folglich müsse begleitend eine Reform der Klinikfinanzierung erfolgen, die die wohnortnahe Basisversorgung sichere.
Hecken schlug konkret vor, dass der Gesetzgeber dem GBA generell erlaubt, "bestimmte Leistungskomplexe an bestimmte Versorgungsebenen zu binden". "Das wäre eine wichtige neue ordnende Rolle." Der GBA könne dann "klipp und klar" sagen, dass etwa Krebstherapien nur noch auf der zweiten Ebene, nicht aber mehr beim Grundversorger "irgendwo auf dem Dorf" erfolgen dürften. Nur so könne "die ungute Praxis politisch opportuner Entscheidungen, die nicht unbedingt das Patientenwohl befördern", durchbrochen werden.
Für die WiZen-Studie wurden über eine Million Behandlungsfälle ausgewertet. Sie ist vom Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. (ADT), dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO), dem Institut für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg sowie vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT/UCC) Dresden durchgeführt worden.
Im Nationalen Krebsplan der Bundesregierung ist die Bildung von onkologischen Behandlungszentren mit einheitlichen Qualitätsstandards vorgesehen. Doch wie groß ist der Nutzen solcher Zentren zur Krebsbehandlung? Können sie wirklich bessere Behandlungsergebnisse vorweisen als Kliniken ohne Zertifizierung?
Das Innovationsfonds-Projekt zur "Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren" (WiZen) hat diese Fragen in den vergangenen drei Jahren untersucht – mit bemerkenswerten Resultaten. Sie umfassen Auswertungen zu Überlebensraten, Prognosen und Komplikationen der Patientinnen und Patienten.
Untersucht wurden die Behandlungsergebnisse bei insgesamt acht Krebserkrankungen. Die Ergebnisse basieren auf Abrechnungsdaten von AOK-Versicherten sowie auf Daten der vier klinischen Krebsregister Regensburg, Dresden, Erfurt und Berlin-Brandenburg. Das Projekt wurde unter Leitung des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden mit Beteiligung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. (ADT), des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) sowie des Instituts für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Dresden durchgeführt. Es wurde vom Innovationsfonds mit insgesamt 1,6 Millionen Euro gefördert.
Wir sind überzeugt, dass die Erkenntnisse aus dem WiZen-Projekt einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der onkologischen Versorgung in Deutschland leisten werden!
Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes
Prof. Dr. med. Monika Klinkhammer-Schalke, Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. (ADT)
Prof. Dr. med. Jochen Schmitt, Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV)
14:00 Uhr
Begrüßung und Vorstellung des Programms
Prof. Dr. med. Monika Klinkhammer-Schalke
Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V., Direktorin des Instituts für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg
14:05 Uhr
Grußwort
Dr. Carola Reimann
Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes
14:15 Uhr
Fragestellungen, Methodik und Ergebnisse des Projektes "Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren" (WiZen)
Prof. Dr. med. Jochen Schmitt
Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV)
Dr. Olaf Schoffer
Leiter des Bereichs Onkologische Versorgungsforschung des ZEGV,
Prof. Dr. med. Monika Klinkhammer-Schalke
Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V.
14:40 Uhr
Beantwortung von Fragen aus dem Chat
14:50 Uhr
Einordnung und Kommentierung der Ergebnisse
Prof. Dr. Olaf Ortmann
Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg
Tobias Hartz
Geschäftsführer des Klinischen Krebsregisters Niedersachsen, Hannover
Dr. med. Jürgen Malzahn
Leiter der Abteilung Stationäre Versorgung und Rehabilitation beim AOK-Bundesverband, Berlin
Priv.-Doz. Dr. med. Simone Wesselmann
Bereichsleiterin Zertifizierung bei der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), Berlin
15:20 Uhr
Beantwortung von Fragen aus dem Chat
15:30 Uhr: Kurze Pause
15:45 Uhr
Podiumsdiskussion: "Umsetzung der WiZen-Ergebnisse in die Versorgung – welche Schritte sind notwendig?"
Dr. Gerald Gaß
Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)
Prof. Josef Hecken
Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA)
Hedy Kerek-Bodden
Vorstandsvorsitzende Haus der Krebs-Selbsthilfe – Bundesverband e. V., Bonn
Markus Algermissen
Leiter der Unterabteilung Medizin- und Berufsrecht im Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
Dr. Carola Reimann
Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes
16:45 Uhr Ende der Veranstaltung
Veranstalter
- Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren
Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. (ADT) ist der bundesweite Zusammenschluss von 60 Tumorzentren und klinischen Krebsregistern. Die 1978 gegründete Interessenvertretung engagiert sich in allen Bundesländern aktiv vor allem für die bessere Versorgung an Krebs erkrankter Menschen. Überregional wirkt die ADT mit dem Bundesgesundheitsministerium und führenden Fachorganisationen zusammen. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Gesundheit haben ADT, Deutsche Krebsgesellschaft und Deutsche Krebshilfe den Nationalen Krebsplan initiiert.
- Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung
Das Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) leistet klinische und methodische Expertise in der Versorgungsforschung, Qualitätsforschung und evidenzbasierten Medizin am Universitätsklinikum Dresden und an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden. Es entwickelt neue methodische Ansätze, die die Variabilität und Individualität der Patienten sowie die Nutzung umfangreicher Daten aus der Routineversorgung berücksichtigen. Ziel des ZEGV ist es, verlässliche und praktikable Methoden für die Erforschung, Bewertung und Sicherung medizinischer Qualität zu entwickeln und zu etablieren.
- AOK-Bundesverband
Der AOK-Bundesverband ist die Interessenvertretung der AOK-Gemeinschaft. Die Gesundheitskasse versichert in elf verschiedenen AOKs bundesweit mehr als 27 Millionen Menschen – rund ein Drittel der gesamten Bevölkerung Deutschlands. Mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) liefert die AOK-Gemeinschaft seit 1976 fundierte Expertisen zu allen Leistungsbereichen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und nimmt dabei vor allem die Patientenversorgung in den Blick. So erstellt das WIdO auf breiter Datenbasis empirische Analysen zur Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung in Deutschland.